Liebe Unbekannte (German Edition)
nicht mitgehen.“
„Soll ich mit ihr hingehen?“
„Nein.“
„Wieso?“
„Der … Embryo ist erst acht Wochen alt.“
„Das ist aber verdammt viel! Soll ich mit ihr reden?“
„Nein.“
„Wieso?“
„Weil sie verrückt ist.“
„Und warum noch?“
„Lass uns über etwas anderes reden, gut? Vorübergehend.“
Sie redeten vorübergehend über etwas anderes und kamen wochenlang nicht auf das Thema
Kind
zurück. Und es gab genug anderes, worüber man reden konnte, erst recht, wenn es nur vorübergehend sein sollte. Gábors ärztliche Untersuchung. Die Personalabteilung. In der Personalabteilung zwinkerte Gábor Kornél zu, denn diese bestand aus einem einzigen steinalten Mann: „Schau mal, das ist doch jemand, mit dem wir ein Interview machen könnten …“ Kornél nickte. Er half ihm, alles zu erledigen, begleitete ihn überall hin, aber die Anspannung zwischen ihnen wuchs merklich. Kornél nahm Gábor die Donau-Geschichte sehr übel. Er hielt ihn für verantwortungslos, was zugegeben auch stimmte. Er freute sich mittlerweile, dass dieser infantile Kerl nicht über alles Bescheid wusste. Das würde nur zu Schwierigkeiten führen. Vor allem für ihn selbst.
Und sie sprachen weiterhin vorübergehend über etwas anderes.
Gábor merkte inzwischen, dass er Blödsinn angestellt hatte.
Und die Wochen verflogen.
Kornél und Emőke wechselten knisternde Blicke, Emőke lief jeden Tag in den Lagerraum, um ein bisschen zu weinen, die Bibliothek bemitleidete sie und fragte sich, wer wohl der Vater sei. Kornéls Name tauchte in diesem Zusammenhang natürlich häufig auf, aber auch der des Neuen, Gábor Kender, ja, einmal sogar der des jungen Mannes aus dem Lager … „Sie wissen schon, dieses Komplexbündel, das früher oder später das ganze Lager in Brand stecken wird, wie heißt der gleich noch?“
„Tamás Krizsán“, sagte Gábor, denn nach einer Woche kannte er die Namen aller Bibliotheksmitarbeiter.
„Sie wissen aber Bescheid“, sagte Patai anerkennend, der ebenfalls alle Namen kannte und Gábor nur testen wollte. „Sie würden ihm die Vaterschaft gerne anhängen, was? Das ist aber nicht nett von Ihnen.“
Patai wusste natürlich, dass Gábor nicht der Vater sein konnte. Gábor wusste auch, dass Patai es wusste und ihn nur aufziehen wollte. Im September, als Emőke Széles schwanger geworden war, war er gerade dabei, die komplette Bibliothek der Kaserne zum zweiten Mal durchzulesen, dennoch hatte Patais Art eine Kraft an sich, die ihn dazu hätte bewegen können zuzugeben, dass er der Vater war. Eine satanische Kraft, sprechen wir es ruhig aus. Das wäre an sich schon beängstigend gewesen, Gábor war jedoch kein feiger Kerl. Was ihn dennoch etwas beunruhigte, war er selbst: Dass ihm Patai gefiel. Ja, und dass ihm gefiel, dass es ihm gefiel. Machen wir es nicht un nötig kompliziert, Gábor wurde dadurch endgültig klar, dass seine Seele über eine teuflische Seite verfügte und dass das schlimm oder zumindest ein Problem war. Und da er nicht nur mutig, sondern auch fröhlich und tatkräftig war, versuchte er mit dem Problem umzugehen, indem er seine Rolle demonstrativ betonte. Er teilte jedem mit selbstgerechtem Grinsen mit, sich in den Dienst des Satans begeben zu haben.
„Herr Patai, ich verbiete mir die Unterstellung“, sagte er.
Das war das erste Mal, dass er allein bei Patai war. Er konnte sich auf nichts anderes konzentrieren, als dass all das, wovon Kornél ihm berichtet hatte, auch ihm widerfuhr: Dass Patai ihn aufforderte, sich zu setzen, ihm ein Bonbon anbot und ihm eine paradoxe Frage stellte. Patai forderte ihn auf, sich zu setzen, bot ihm ein Bonbon an, fragte ihn jedoch lediglich über Emőke Széles aus. Das war die paradoxe Frage. Allem Anschein nach interessierte er sich nur für die saftigen Bibliotheksgerüchte. Gábor hatte das Gefühl, als interessiere sich Patai für alles, später kam ihm jedoch auch der Gedanke, er interessiere sich für rein gar nichts. Als würde er mit den Menschen und Gerüchten Patience spielen.
Später erzählte Emőke Széles Gábor selbst, wie sie in die Bibliothek gekommen war. Sie hatte ein Kolloquium in Arbeitsrecht zu bestehen, aber Arbeitsrecht war ein Fach, das man einfach nicht lernen konnte. Und sie, bescheuert wie sie war, befolgte den bescheuerten Rat ihrer Freundin, die noch bescheuerter war als sie selbst, und bat Patai um Hilfe. Dabei hatte sich ihre Freundin wegen Patai schon ein paar Mal die Finger verbrannt. Trotzdem
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