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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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wechselte. Gábor stand in einiger Entfernung, weshalb er diesen Blick unterschätzte. Hätte er nicht so weit weg gestanden, hätte er gesehen, wie dieser Blick in Wirklichkeit war – und wenn er noch näher gestanden hätte, hätte er es sogar knistern gehört.
    „Ich grüße Sie, Onkel Öcsi. Das ist mein Freund. Er wird hier arbeiten. Das ist abgemacht.“
    „Von mir aus“, sagte Onkel Öcsi griesgrämig und ging in die Pförtnerloge. Gábor hätte aufgrund der vorherigen Szene eine etwas freundlichere Antwort erwartet, aber etwas lernte er auch daraus: Onkel Öcsi mochte Kornél nicht.
    Er mochte ihn tatsächlich nicht. Über Kornél munkelte man in der Bibliothek, er sei Patais Sohn. Das stimmte nicht. Alle kannten jedoch einen alten Scherz von Patai: In Gesellschaft machte er jungen Müttern den Hof, indem er zu ihren Babys sagte: „Na, komm her zu Papa.“ Die Anwesenden lachten. Das spielte er seit Jahrzehnten mit jeder ihm bekannten und unbekannten jungen Mutter, alle wussten bereits, was kommen würde, und erwarteten es auch von ihm. Im Laufe der Zeit gab es mehrere Tausend solcher Szenen und, nach dem Gesetz der großen Zahlen, waren einigen Dutzend Vätern ernsthafte Zweifel gekommen, ob wirklich sie ihre Kinder gezeugt hatten oder vielleicht doch Patai. Auf jeden Fall war es der Bibliothek verdächtig, dass Kornél bei Patai offenkundig eine Vorzugsbehandlung genoss. Patai sah Kornél sogar nach, dass er nicht arbeitete. Also, dass er nicht einmal so tat, als würde er arbeiten. Er lebte in der Bibliothek wie ein vornehmer Fremder. Das war er im Übrigen auch: Als Patai ihn gefragt hatte, ob er einen bürgerlichen Beruf habe (abgesehen davon, dass er laut Papier redaktionelle Hilfskraft der Ungarischen Großenzyklopädie war) und was dieser sei, antwortete Kornél mit einem frechen Lächeln: ein edler Dilettant. Patai war mit der Antwort außerordentlich zufrieden und schlug Kornél die Sache mit den Bibliotheksinterviews vor. Er mochte es, wenn man ihm frech entgegentrat.
    „Das war doch nicht Emőke, oder?“, fragte Gábor vorsichtig.
    „Doch“, antwortete Kornél schulterzuckend. „Wieso?“
    „Seid ihr zerstritten?“, fragte Gábor auf dem Weg zur Personalabteilung. Sie liefen über den Löwenhof.
    „Das habe ich dir doch erzählt, nicht?“
    „Aber so sehr, dass ihr euch nicht einmal grüßt?“
    „Wer sagt, dass wir uns nicht gegrüßt haben? Du willst nicht wissen, wie sehr wir uns gegrüßt haben!“
    „Wie sehr?“
    „Sehr!“, sagte Kornél trocken, und Gábor sah ihm an, dass er immer noch bei diesem Gruß war.
    „Also mit einem Blick?“, fragte Gábor nach kurzer Pause, wobei er riskierte, für unverständig gehalten zu werden.
    „Hm.“
    „Und wenn ihr euch unterhaltet, macht ihr das dann auch nur mit Blicken?“
    „Manchmal brüllen wir uns auch an. Nicht nur mit einem Blick.“
    Gábor war voller Mitgefühl. Er wartete auf Einzelheiten. Der Burgpalast lag bereits hinter ihnen. Kornél deutete in seine Richtung.
    „Hier weiß man nicht einmal, dass wir zusammen sind. Was in diesem Irrenhaus einem Weltwunder gleichkommt. Keiner hat auch nur einen blassen Schimmer davon, dass Emőke und ich irgendetwas miteinander zu tun haben. Normalerweise weiß hier jeder alles über jeden. Und über uns weiß man nichts. Dabei hatten wir gar nicht im Sinn, ein großes Geheimnis daraus zu machen.“
    Gábor dachte darüber nach, was wohl wäre, wenn Kornél bestrebt wäre, ein Geheimnis aus seinem Leben zu machen: Wahrscheinlich würde er unsichtbar werden.
    „Und wo gehen wir jetzt hin?“
    „Zur Personalabteilung. Nach Pest. Mit dem Bus. Entschuldige, aber ich habe vergessen, dass die in der Bródy Straße ist. Und da gibt es noch etwas, das du nicht weißt.“
    „Du bekommst keine Kamera.“
    „Doch, eine Kamera bekomme ich. Aber vielleicht auch noch etwas anderes.“
    „Was noch?“, fragte Gábor.
    „Ein Kind.“
    „Von wem?“
    „Du weißt gar nicht, was für eine gute Frage das ist“, sagte Kornél mit einem qualvollen Lächeln.
    „Von der anderen Frau?“
    Kornél schüttelte den Kopf.
    „Sicher ist, dass es von Emőke ist. Nicht sicher ist, dass es von mir ist.“
    Es war von ihm. Nur hatte Emőke Széles noch im Herbst einen unglücklichen Versuch unternommen, Kornél eifersüchtig zu machen, und sich dafür Tabaki ausgesucht.
    „Von dem Rockmusiker?“
    „Habe ich dir von ihm erzählt?“
    „Ja. Wart ihr beim Arzt?“
    „Sie war. Angeblich. Sie ließ mich

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