Liebe Unbekannte (German Edition)
war sie so blöd, Patai anzurufen. Na, mit Patais Unterstützung kam es dann dazu, dass ihre Prüfung von der mitten in ihren Wechseljahren stehenden, gemeinsten Hexe der gesamten Juristischen Fakultät abgenommen wurde, die sie durchfallen und aus reiner Boshaftigkeit zur Nachprüfung in die Burg kommen ließ. In ihr Büro. Emőke saß also in diesem Zimmer, als plötzlich Patai hereintrat, was die Frau offenkundig dahinschmelzen ließ. Er setzte sich, grinste und starrte dabei Emőke an, die sagte, sie könne sich so nicht konzentrieren. „Dann sollten Sie nicht Juristin werden“, trällerte die Schreckschraube, „sondern Tierpflegerin.“ Ein Wort ergab das andere, bis sie in Emőkes Studienbuch schließlich eintrug, dass diese die Prüfung nicht bestanden habe und sagte, auf Wiedersehen im September, bei der Wiederholungsprüfung, die in Anwesenheit des Rektors stattfinden werde. Daraufhin sagte Emőke Széles vor Wut, das sei auch besser so, sie wolle lieber ein Jahr aussetzen, sie habe ohnehin geplant, eine Weile als Begleitdame zu arbeiten. Für italienische und westdeutsche Arbeitgeber. Die Frau war empört, Patai lachte und bot Emőke Széles an, in diesem Jahr in der Bibliothek zu arbeiten, da man Begleitdamen auch dort dringend benötige. Aber um Emőke Széles musste man sich keine Sorgen machen. Sie erwiderte mit ihrer krähenhaftesten Stimme:
„Wunderbar, aber dann bringe ich auch meinen Geliebten mit!“
Patai war vollkommen entzückt, denn er hatte gedacht, solche Frauen habe es nur früher gegeben, aber allen Anzeichen nach waren sie noch nicht ausgestorben.
„Bringen Sie ihn ruhig mit.“
So kam Kornél ebenfalls in die Bibliothek. Das war jedoch noch im Sommer, vor den schlimmen Ereignissen.
Patais Hauptbeschäftigung war das Sammeln junger Leute. Er sammelte sie, als wären sie Schmetterlinge.
Das Ganze hatte vor mehreren Jahrzehnten begonnen. Patai wollte sich nie fortpflanzen, deshalb war für ihn eine Frau, die von ihren eigenen Genossen unfruchtbar gemacht worden war, genau die Richtige. Klárika hatte ihm das selbstbewusst mitgeteilt, noch bevor sie ihre Leben miteinander verbunden hatten: Sie sei in Moskau geboren worden, als Kind ungarischer, kommunistischer Emigranten, die zur Zeit der sogenannten
stalinistischen Gesetzwidrigkeiten
zusammen mit Klárikas Geschwistern und ihrer gesamten Verwandtschaft liquidiert worden seien. Mit so einer vornehmen Vergangenheit war es kein Wunder, dass Klárika ihr Leben lang das Gefühl hatte, unter ihrem Stand geheiratet zu haben. Was sie ihn auch spüren ließ. Deshalb fing Patai später an der Pädagogischen Hochschule damit an, junge Leute um sich zu sammeln, damit Klárika sah, mit welch glänzenden Augen diese ihn anhimmelten und in ihm den Menschen der Zukunft sahen.
Dann starb Klárika jedoch und Patai stand da mit den ganzen jungen Leuten, die er niemandem mehr vorführen konnte. Nun hatte er sie am Hals. Und von der Hochschule aus ging er in Rente. Da bemerkte er, dass das Sammeln von jungen Leuten inzwischen eine Passion für ihn geworden war. Und ihre Lagerung zum Hauptproblem. Ihm fiel die zweite Etage des Burgpalastes ein: Hier gab es hinter dem sogenannten Mittelrisalit der westlichen Fassade eine Menge leer stehender Räume. Diese hatte man für das zukünftige Rechenzentrum der Bibliothek leer stehen lassen, in der Hoffnung, dass sich die Bibliothek eines Tages in einer besseren wirtschaftlichen Lage befinden werde, die es ihr ermögliche, ein kaum überholtes Datenverarbeitungssystem aus dem Westen zu kaufen. Aber es gab nie mehr Geld, daher konnte die Bibliothek immer modernere, kaum überholte Datenverarbeitungssysteme nicht erwerben. So hielt die Bibliothek auf ihre Weise dennoch Schritt mit der weltweiten, explosionsartigen Entwicklung der Elektronik. Diese Säle standen also nun leer, und Patai brachte seine Schützlinge hier unter. Hier sammelte er von da an die jungen Leute der Stadt. Als wissenschaftliche Hilfskräfte.
Eigentlich musste er sie aber gar nicht mehr sammeln, sie kamen von allein. Der eine sagte dem anderen Bescheid. Man wusste gar nicht genau, wie viele in der zweiten Etage wohnten.
Patai gab sich damit zufrieden, diese jungen Leute zu erniedrigen. Hin und wieder ließ er einen von ihnen zu sich kommen, unterhielt sich mit ihm, erniedrigte ihn und entließ ihn wieder. Der Sammelleidenschaft kam jedoch eine viel größere Bedeutung zu als der Erniedrigung. Die Erniedrigung fand stets in verbaler Form
Weitere Kostenlose Bücher