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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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musste an Vaters Zeitmaschine denken, deren Bau er irgendwann unterbrochen und dann nie fortgesetzt hatte. Sie steht unterm Birnbaum. Hunderte von modrigen populärwissenschaftlichen Zeitschriften schimmeln darin vor sich hin. Und meine
Volkssport
-Zeitungen. Bei uns zu Hause beschäftigt sich jeder mit dem Sinn der Welt. Gábors Worten entnahm ich, dass sein genialer Freund auch ein Mensch von diesem Schlag war, und er selbst vielleicht ebenfalls. Mir ging der eifersüchtige Gedanke durch den Kopf, dass wir uns beeilen mussten, andernfalls würde jemand anderes den transzendentalen Sinn der Welt wiederherstellen und nicht wir, also Vater und ich. Außerdem stand ich seit Vaters Herzinfarkt mit dieser Aufgabe vielleicht sogar schon allein da.
    „Solche Sprüche bringen natürlich auch andere“, fuhr Gábor fort, „zum Beispiel, wenn sie Frauen aufreißen wollen. Aber meinem Freund kann man es glauben, da er das zu mir sagt und ob er Frauen gegenüber so etwas überhaupt sagt, weiß ich nicht. Stimmt, ich weiß gar nicht, was er zu Frauen sagt.“
    Er verstummte, überlegte und trank.
    „Ist ja auch egal, was er zu Frauen sagt. Hör zu, Tamás. Bis jetzt hatten mein Freund und ich einen gemeinsamen Plan, aber er interessiert ihn nicht mehr. Deshalb fahren wir jetzt nach Nyék. Apropos: Warum bist du eigentlich mitgekommen?“
    „Na ja, die Sache ist die …“, sagte ich als Einleitung einer umständlichen Erklärung der Tatsache, dass ich in Nyék wohnte. Doch Gábor holte sein Bajonett hervor und legte es auf den kleinen Tisch.
    „Die Sache ist die, dass du in Kelenföld aussteigen willst. Das steht dir ins Gesicht geschrieben. Aber das kannst du dir abschminken. Wo war ich stehen geblieben?“
    „Bei deinem Freund.“
    „Mein Freund. Mein Freund ist ein außerordentlich schwieriger Fall. Er verträgt keine Kritik, und ich habe ihm heute Mittag ganz offen die Meinung gesagt. Ich habe ihn ziemlich heruntergemacht. Deshalb ist er nicht auf den Löwenhof gekommen. Weil er eingeschnappt ist. Aber das interessiert mich nicht mehr!“
    Er schüttelte den Kopf und trank. Ich nahm ebenfalls einen Schluck. Nachdem wir erst ein paar Minuten gefahren waren, hielt der Zug auf freier Strecke. Dafür gab es überhaupt keinen Grund. Unsere Mitfahrer regten sich nun wieder über die Eisenbahngesellschaft auf.
    „Habe ich dir schon erzählt, worüber wir uns gestritten haben? Wir wollten zusammen einen Film machen. Auf Grundlage seiner Idee. Es wäre ein Dokumentarfilm geworden. Mit Spielfilmelementen. Hast du schon mal von den Piaristen gehört? Das sind Mönche.“
    „Mir dämmert da etwas.“
    „Du weißt also Bescheid. Auf jeden Fall gab es da diesen Piaristen, der am 2. November 1956 in den Morgenstunden, trotz aller Gefahren, vom KálmánMikszáth-Platz in die Baross Straße ging, um zu Allerheiligen eine Messe zu halten.“
    „Allerheiligen ist am 1.“, berichtigte ich ihn. „Am 2. November ist Allerseelen.“
    „Gut, das weißt du also. Lassen wir die Piaristen.“
    „Nein, wir können ruhig weiter über die Piaristen reden“, schlug ich vor, da ich im Grunde jeden Klosterbruder tief respektierte. Und ich wusste bereits, dass ich Gábor gegenüber den Katholizismus zu verteidigen hatte.
    „Die Piaristen spielen nicht die entscheidende Rolle in dieser Geschichte.“
    „Sondern dein Freund.“
    „Ja. Seine Mutter kam mit einem Lastwagen der Glasfabrik von Nowa Huta in die Baross Straße. Sie ist also Polin. Und natürlich eine Gräfin. Angeblich. Sagt dir der Name Poniatowski etwas?“
    „Ja, das waren Fürsten.“
    „Sie ist mit ihnen verwandt, ist aber auch egal. Sie brachten Flachglas in die Kliniken, da in den Gefechten alle Fenster zerbrochen waren. Die Polen schickten diese Glasscheiben den ungarischen Aufständischen. Und seine Mutter, die eigentlich Psychologin war, kam als Krankenpflegerin mit. Und die Polen sind sehr christlich. Das weißt du sicherlich auch.“
    „Sie sind katholisch.“
    „Ja. Und seine Mutter ging, als echte Polin, zur katholischen Messe, und hier kommt die entscheidende Wendung in der Geschichte, denn die Messe fand nicht in einer Kirche statt, sondern in einer der Kliniken in der Baross Straße, du weißt doch, da gibt es mehrere.“
    „Ich weiß“, sagte ich. Er bemerkte nicht, dass ich es tatsächlich wusste.
    „Im Labor im Untergeschoss! Stell dir das mal vor. In einem Labor. Und es war brechend voll. An den Seiten waren überall Kolben und Reagenzgläser und vorne

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