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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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außerdem wollte ich schon immer ehrlich sein.
    „Lachst du mich aus?“, fragte er gereizt, aber doch eher traurig. „Hast ja auch recht.“
    Er steckte die Nelke wieder in die Tasche.
    „Ich lache nicht über dich. Nur darüber, wie gut es doch wäre, endlich mal einer Frau überdrüssig zu sein.“
    „Das sage ich meinem Freund auch immer. Meinem ehemaligen Freund. Er solle sich freuen, dass sich alle Frauen in ihn verlieben. Und überhaupt, dass er
er
ist. Denn mein ehemaliger Freund ist ein Genie. Ein Übermensch. Und das freut ihn nicht im Geringsten. Es fehlt ihm an Begeisterung. Hast du die Stimme von Széles schon mal gehört? Jeder nennt sie nur Széles. Außer Tante Gizella. Und Onkel Öcsi, der nennt sie Erzsike. Ich glaube, es liegt an ihrer Stimme, dass niemand sie Emőke nennt. Denn ihre Stimme ist nicht schön. Bleiben wir sachlich.“
    Ich nickte zustimmend. Es war unmöglich, die Stimme von Emőke Széles nicht zu hören. Seitdem ich erfahren hatte, dass sie es war, die im Lager weinte, wusste ich, dass es ihr Krächzen war, das ich bisher in den verschiedenen Ecken der Bibliothek gehört hatte.
    „Mein Freund würde sich also gerne von Széles lösen. Ein bisschen flexibel werden, du verstehst.“
    „Aber doch nicht wegen ihrer Stimme?“
    „Ich habe das nicht gesagt … Aber ihre Stimme kann, wenn sie will, auch schön sein. Wenn sie will, dann ist sie aber wirklich hässlich, und so etwas zählt nun einmal. Mein Freund würde jedoch lieber sterben, als das zuzugeben. Dass ihm eine hässliche Stimme etwas ausmacht. Also hör zu. Du bist ein richtiger Glückspilz. Vielleicht sollte ich meinen Freund nicht so bloßstellen, aber er hat mich in einem schwachen Moment damit beauftragt, einen Mann für Széles zu besorgen.“
    „Bravo“, sagte ich geringschätzig.
    „Warte, du kennst die Lage nicht. Er hat mich metakommunikativ damit beauftragt. Er hat es nicht gesagt, nur gedacht. Er würde so etwas nie aussprechen. Aber ich kenne ihn. Er ist ihr nicht jetzt überdrüssig geworden, sondern schon früher. Denn es ist eine noch schönere Frau aufgetaucht. Nur ist Emőke inzwischen schwanger geworden und hat das Kind heute früh wegmachen lassen.“
    „Bravo“, sagte ich erneut und riskierte dabei, dass Gábor mir, um seinen Freund zu beschützen, an die Gurgel springen würde. Für eine Abtreibung musste ich mich noch nicht verantworten, weshalb ich mich berechtigt fühlte, über Emőke Széles und Gábors besten Freund, den übermenschlichen Menschen, den Stab zu brechen. Aber Gábor verstand mich.
    „Das sagst du nur, weil du meinen Freund nicht kennst. Meinen ehemaligen Freund, aber egal. Also jetzt ist es unmöglich, Emőke zu verlassen … das wäre eine Schweinerei. Warte, ich muss anders anfangen … Damit du ein richtiges Bild von meinem Freund bekommst. Zunächst muss man über ihn sagen, dass er ein Anarchist ist. Sag das ja nicht zu ihm, falls du eines Tages mit ihm sprechen solltest, das hasst er nämlich. Er behauptet, er sei kein Anarchist. Wie ich darauf komme, fragt er. Dabei hat er sich mit Rózsa Hofmann auch über Jenő Henrik Schmitt unterhalten, aber das ist dir wahrscheinlich egal, du kennst eh keinen der beiden. Ich weiß auf jeden Fall, dass er Anarchist gewesen ist. Doch dann wurde ihm klar, dass er eines nicht drauf hat, und zwar, locker zu sein. Er ist dafür nicht locker genug. Das sollst du ihm aber auch nicht sagen. Du sollst am besten gar nichts zu ihm sagen. Ihm ist es also peinlich, dass er hat Anarchist werden wollen. Ein Genie ist er aber wirklich. Du glaubst mir nicht, was? Gut, dann eben ein Prophet, wenn dir das besser gefällt. Er trägt zum Beispiel Dämonen in sich. Mit denen unterhält er sich. Es ist einfach unmöglich, sich seiner Wirkung zu entziehen.“
    In Gedanken war ich schon völlig im Netz von Kornéls Wirkung gefangen.
    „Andererseits ist er aber ein großer Idiot. Warte, wie soll ich das beschreiben, welche Art von Idiot er ist … Denn es ist ja nicht ohne Bedeutung, welche Art von Idiot er ist. Er ist nämlich einer der Sorte, die sagt, die Welt habe ihre transzendentale Bedeutung verloren, und sie müsse sie wiederherstellen.“
    Gábor sagte das in einem leicht spöttischen Ton, aber ich spürte, dass er das nur tat, damit ich seinen Freund ernst nahm und nicht gleich für einen Verrückten hielt. Das wäre mir jedoch ohnehin nicht in den Sinn gekommen. Bei meinem familiären Hintergrund wäre das auch ziemlich albern gewesen. Ich

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