Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
Vom Netzwerk:
hätte ich mich mit meinen Ortskenntnissen verraten, aber die Situation machte mir beinah schon Spaß. Hin und wieder lächelte ich geheimnisvoll, allerdings so geheimnisvoll, dass Gábor nichts davon bemerkte.
    Ich verfolgte jedoch auch noch eine edlere Absicht. Mit der Aufdeckung der Tatsache, dass ich ein Einwohner Nyéks war, wollte ich mich für Gábors Bemühungen revanchieren. Ich wollte meine Dankbarkeit mit einer denkwürdigen Szene ausdrücken, die er später, entsprechend ausgeschmückt, würde wiedergeben können. Ich sah ihn förmlich vor mir, wie er in der Bibliothek erzählte, wie er und Tomi Krizsán in Nyék gewesen seien.
    Irgendwann fuhr der Zug doch los. Dieses Manöver gestaltete sich folgendermaßen: Zuerst setzte er sich mit einem Ruck in Gang, dann überlegte er es sich anders, blieb mit einem Ruck stehen, schließlich fuhr er so los wie jeder normale Zug auch: sanft und leise. Als würde er sich selbst beweisen wollen, dass er auch ein Zug war und zwar nicht einmal einer von der schlechtesten Sorte.
    Darauf tranken wir mit dem Kirschschnaps. Ich nur einen Schluck, Gábor den Rest.
    Da nun die entsprechende Geräuschkulisse gewährleistet war, widmeten sich die Passagiere anderen Themen als der Eisenbahngesellschaft. In einer der weiter entfernten Boxen begann ein vorsichtiges Gespräch über den großen Tölpel, der vorhin im Südbahnhof über die Leute aus Nyék geschimpft hatte.
    „Pst“, sagte Gábor grinsend.
    Wir hörten ihnen eine Weile zu. Belauschten sie, wie sie sich mit gedämpfter Stimme über Gábor echauffierten. Gábor war zufrieden. Als hätte er genau das von ihnen erwartet. Mir gefiel die Sache auch, obwohl ich wegen des Schaffners etwas nervös war, da ich ständig vergaß, dass ich ja einen Fahrschein hatte.
    Gábor hingegen war alles andere als nervös. Für ihn war es an der Zeit, seine große Ankündigung zu machen. Er bereitete sich innerlich darauf vor. Er bekam einen leicht verklärten Blick, als wollte er über freudige Entwicklungen berichten. Dabei bestand die Freude lediglich darin, dass Gábor Entwicklungen mochte.
    Er zog eine Nelke aus der Tasche und legte sie mit triumphierendem Gesicht auf die kleine Tischplatte. Wie versteinert starrte ich sie an.
    „Na, hör zu, Tamás. Wir haben ein ziemlich großes Problem. Ich habe entdeckt, dass wir beide in dieselbe Frau verliebt sind. Liege ich richtig?“
    Er legte mir die Hand auf die Schulter. Ich vermutete, dass er Emőke Széles meinte, da sie die einzige Frau war, die wir beide kannten, und dass dies eine von meinen Nelken war. Mir schoss das Bild durch den Kopf, wie ich ihm den Arm verdrehte, dann weitere Selbstverteidigungsgriffe, die mir Vater eines Abends eilig aufgezählt hatte, die zu üben uns jedoch die Zeit fehlte, da es schon spät war, und ich am nächsten Tag in die Schule musste. Ich schüttelte den Kopf.
    „Du musst dich nicht schämen, ich habe es gesehen. Und sie weiß es auch. Jeder in der Bibliothek weiß es. Du bist kein so guter Schauspieler. Und daran ist ja nichts peinlich. Zumindest was dich betrifft. Denn was mich betrifft, sieht es schon ganz anders aus. Nämlich so, dass Emőke die Freundin meines besten Freundes ist. Meines ehemaligen besten Freundes, aber das ist jetzt egal.“
    Die Angst, von Gábor erdrosselt oder erschlagen zu werden und in vollkommener Schande so zu verenden wie ein Held von Kafka, hatte eine positive Wirkung auf mich. Ich überblickte die Lage. Und gab eine sich aufs Wesentliche beschränkende, neutrale und – im Grunde – genaue Antwort.
    „Ich bin nicht in sie verliebt.“
    „Das ist eine Detailfrage. Dann wirst du es eben sein. Ich habe auch gedacht, dass ich es nicht sein würde. Und nun bin ich es doch. Da siehst du’s. Und ich habe keine Chance, denn mir ist die Freundin meines Freundes heilig. Auch wenn er nur mein ehemaliger Freund ist. Die Sache ist jedoch die, dass mein Freund seiner Freundin überdrüssig geworden ist. Er würde das anders ausdrücken, aber das ist die Wahrheit. Darin liegt deine Chance.“
    „Gábor“, sagte ich erneut im gleichen Tonfall, „ich bin nicht in diese Frau verliebt.“
    „Du meinst, in Emőke Széles.“
    „Auch wenn es Emőke Széles ist, bin ich nicht in sie verliebt.“
    Mein erster Schreck war verflogen. Ich ärgerte mich eher ein bisschen darüber, warum man einer Frau überdrüssig werden konnte.
    „Solche Probleme hätte ich gern“, sagte ich lachend. Der Apfelwein zeigte langsam seine Wirkung,

Weitere Kostenlose Bücher