Liebe Unbekannte (German Edition)
Kind mehr war, hatte ich auch jetzt das unangenehme Gefühl, dass ich im Ernstfall, wenn mich tatsächlich jemand anwerben oder auch nur ausfragen wollte, gleich an der ersten Frage scheitern würde. Dabei wusste ich, was ich zu tun hatte: Ich musste mich auf mein furchtbar schlechtes Gedächtnis und meine infantile Verantwortungslosigkeit berufen. Aber wer konnte schon ahnen, was für eine Frage man mir stellen würde.
Ich hatte mit einer wesentlich älteren Person als Gábor gerechnet.
Gábor hatte natürlich keine Ahnung davon, auf was er mich gebracht hatte. Die zweite Weinflasche stellte er gar nicht mehr ab, er klammerte sich an ihr fest.
„Auf Herrn Patai können wir jetzt nicht ausführlich eingehen. Der Meister ist eine außerordentlich bemerkenswerte Gestalt, du wirst ihn auch kennenlernen … Er ist absolut teuflisch! In der Bibliothek nennt man ihn Mephistino. Aber er ist nicht unser Thema, unser Thema ist das, wovon wir abgekommen sind. Also, die Freundin meines Freundes, Széles, in die du verliebt bist … versuch nicht schon wieder, es zu bestreiten, sonst hole ich mein Bajonett hervor! Also, Széles hat auch eine Freundin. Und genau diese Freundin und Kornél haben sich ineinander verliebt. Mein Freund heißt nämlich Kornél, Kornél Hajnal, aber wie diese Freundin von Széles heißt, weiß ich nicht, mein Freund erzählt mir nämlich nichts. Er hat mir nicht einmal ihren Namen verraten, denn er vertraut mir nicht mehr, seitdem ich in die Donau gesprungen bin. Wegen dieser Geschichte glaubt er nämlich, ich könnte auch nicht die Fresse halten. Und er glaubt, ich würde es nicht bemerken, dass er so über mich denkt. Er hat übrigens immer ein Geheimnis. Das er irgendwann plötzlich hervorzaubert, wie der … äh… sag schon, wer, den Hasen aus dem Dornbusch.“
„Der Zauberkünstler?“
„Nein, eben nicht der, sondern der Zauberer. Ich glaube übrigens nicht an so etwas, wie, dass jemand die Straßenlaterne mit bloßem Willen zum Erlöschen bringen kann, weil … Ist jetzt egal warum, das erzähle ich dir später einmal … Denn, wenn ich das glauben würde, müsste ich ja alles glauben … Du glaubst an so etwas, stimmt’s?“
Ich glaubte nicht an so etwas, dabei konnte auch Gerda die Straßenlaterne mit bloßem Willen ausschalten, aber das reicht noch nicht dafür aus, dass man auch daran glaubt.
„Ein bisschen“, antwortete ich, „ich habe so etwas schon gesehen.“
„Man kann nicht ein bisschen daran glauben. Mein Freund glaubt sehr daran. Er kann alles ausschalten. Um ihn herum bewegen sich die Gegenstände. In seiner Nähe passiert Unerklärliches … Eines besonderen Tages spazierten wir die Áron-Gábor-Straße entlang. Das ist in Pasarét.“
„Ich weiß.“
„Stimmt ja, du kommst aus Budapest. Dann weißt du auch, dass die Áron-Gábor-Straße nach unten abfällt und nach oben stark ansteigt. Und Áron Gábor war einer, der Kanonen und Kanonenkugeln gegossen hat. Kanonenkugeln spielen in dieser Geschichte eine besondere Rolle. Überhaupt, Kugeln im Allgemeinen. Du wirst gleich sehen, weshalb. Von allein würdest du nie darauf kommen. Also, eines besonderen Tages spazierten mein Freund und ich … ach ja, denn wir spazierten immer eines besonderen Tages. Das ist verdammt wichtig! Dass man nicht einfach nur so spaziert, sondern eines besonderen Tages spaziert. Mein Freund und ich waren in diesen Dingen stets sehr gut. Wir waren unschlagbar.“
Er verstummte. Grübelnd trank er ein Viertel der Flasche Wein.
„Egal. Wir kamen also eines Abends von irgendeiner Fete dort in der Gegend und liefen die ÁronGábor-Straße hinunter. Und wir liefen auf der Fahrbahn, weil es keinen Verkehr gab, und es zuvor stark geregnet hatte, und der Fußweg voller Schlamm war, aber das ist auch egal … Alles egal. Wir liefen auf der Fahrbahn. Und plötzlich brüllte Kornél, „Pass auf!“ Und ich wusste nicht, worauf ich aufpassen sollte. Ich hörte ein seltsames Geräusch, war aber auch ziemlich betrunken, und da riss mich mein Freund so stark zur Seite, dass ich in die Mitte der Fahrbahn flog. Und weißt du, was das war? Es war eine dieser Steinkugeln, du weißt, diese verflucht großen Kugeln, die zwei Zentner oder mehr wiegen, in Pasarét gibt es diese alten Villen, die die jüdischen Fabrikanten haben bauen lassen … Bist du Jude? Denn ich erkenne Juden nicht, mir ist das egal, aber manche Leute sind bei so etwas ganz schnell verschnupft, also diese alten Familien mit den großen
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