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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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allein. Aber wie sollte ich Gábor das sagen?
    „Lade ihn nur nicht ein herzukommen“, sagte ich schließlich ganz ehrlich. „Die Sache ist die: Man kann hierher niemanden einladen. Das ist nicht der Ort dafür.“
    Er verstand.
    „Hast du Hunger?“
    „Ich traue mich nicht hinzugehen, Tamás.“
    „Bring ihm doch ein Frühstück“, sagte ich einfach, da ich mich dadurch, dass ich ehrlich zu ihm gewesen war, plötzlich ganz leicht fühlte.
    Er sprang auf.
    „Du hast recht. Verdammt, das ist die Lösung. Semmeln und Extrawurst! So einfach ist es. Das muss man nicht überpsychologisieren. Ein Frühstück! Wir bringen ihm ein Frühstück, und fertig! Das ist eine tierisch gute Idee.“
    Er sammelte sich blitzschnell, was – da er angezogen geschlafen hatte – darin bestand, seine Tasche und die Nelke zu nehmen, den Staub von dieser zu pusten und mich darum zu bitten, ihn zu meiner Mutter zu bringen. Ohne eine Antwort abzuwarten, rannte er auf den Flur.
    „Seien Sie mir nicht böse wegen des Trubels gestern Abend“, sagte er.
    „Ich bin seine Schwester, nicht seine Mutter“, antwortete Gerda beherrscht.
    „Entschuldigung“, sagte Gábor errötend und stopfte die Nelke in die Hosentasche.
    Er versank beinah vor Scham. Und ich auch, vor Gerda, seinetwegen.
    „Ich bin daran schuld. Ich habe in einem halben Jahr dreißig Kilo zugenommen.“
    Am meisten erschrak ihn wohl die Sachlichkeit, mit der Gerda das sagte.
    „Ich verstehe“, erwiderte Gábor und schlug, nach kurzem Zögern, den Kopf gegen die Wand. Dann noch einmal. Das Haus erbebte.
    „Lass das“, sagte Gerda. „Das bringt niemandem etwas.“
    Sie hatte die Stimme kaum erhoben, Gábor erstarrte dennoch. Wie man jemandem etwas befiehlt, hatte Gerda in der Filmfabrik gelernt.
    „Entschuldigung.“
    „Und entschuldige dich nicht. Wenn du eine Frau schon um zwanzig Jahre älter machst, dann halt wenigstens den Mund.“
    „Ja. Ich weiß. Ich gehe.“
    Gábor war purpurrot. Er sah mich an.
    „Du kommst nicht mit, oder?“, fragte er in einem mitleiderregenden Ton.
    „Nein, auf keinen Fall“, sagte ich wütend. „Was denkst du eigentlich?“
    Nun war er endgültig am Boden zerstört. Aber ich musste schließlich meine Schwester in Schutz nehmen. Darin wurde ich von großen Kräften unterstützt: Hinter mir standen
Die Familie, Die Ritterlichkeit
und
Die Heuchelei
. Denn in Wirklichkeit beschützte ich mit diesen Worten nicht Gerda, sondern rächte mich bei der erstbesten Gelegenheit an Gábor für seine Überheblichkeit des vorhergehenden Tages.
    „Ich habe heute frei“, fügte ich hinzu, da ich merkte, dass ich seine missliche Lage ausgenutzt hatte.
    „Ich verstehe. Und heute Abend?“
    Er meinte den Ball. Ich zuckte mit den Schultern.
    „Ich weiß noch nicht.“
    „Wann fährt der Zug?“
    „Es gibt auch einen Bus. Du musst bis zur Ecke gehen, dann links bis zur Asphaltstraße.“
    Er nickte. Nachdem ich ihn bis zum Gartentor begleitet hatte, drehte er sich noch einmal um. Er schlug sich mit der Faust gegen die Stirn, band sich eine imaginäre Schlaufe um den Hals und zog diese fest. Dann ging er los.
    Und ich blieb. Ich musste Gerda trösten und hielt es auch für ratsam, Vater davon zu überzeugen, dass aus mir kein Alkoholiker werden würde. Vater schlief jedoch noch und Gerda bedurfte keines Trosts.
    „Lauf ihm doch endlich hinterher“, sagte sie lächelnd. „Er ist ja völlig außer sich.“
    „Sein Problem“, sagte ich mürrisch. „Ich laufe ihm bestimmt nicht hinterher. Ich bin froh, dass er weg ist.“
    „Du musst aber“, sagte sie. „Du wirst es bereuen, wenn du es nicht machst.“
    „Wie kommst du darauf?“
    „Ich sehe es ihm an. Er ist so einer.“
    „Was für einer?“
    „Einer, dem man hinterherlaufen muss.“
    „Du hast ihn nur kotzen gesehen.“
    „Geh schon!“
    Ich musste ihr gehorchen. Ich nahm meinen Mantel und lief Gábor hinterher. Gerda rief mir noch aus der Tür nach, ich solle vor dem Ball auf jeden Fall nach Hause kommen, da mich eine Überraschung erwarte. Das ominöse Kleidungsstück.
    „Erika bringt uns beide um, wenn du nicht nach Hause kommst“, fügte Gerda hinzu. „Sie möchte es dir geben.“
    Gerda argwöhnte, dass Erika eine Art Warenkopplung im Sinne hatte, indem sie mir etwas Neues zum Anziehen schenkte und mich ganz nebenbei mit ihrer alten Freundin, Csilla Budai, verkuppelte. Das dachte ich auch. Ich sagte, ja, klar, ich würde gleich nach Hause kommen, nur warten, bis Gábors Bus

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