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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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mich bis heute nicht einfach, leichten Herzens an den jungen namenlosen Psychiater zu denken.
    Emma war bei den letzten drei Auftritten des
Gut Durchbluteten Unterbauchs
gewesen (die Formation hatte während der kurzen Zeit ihres Bestehens vier Konzerte und drei Proben), und Emőke Széles machte die beiden gleich miteinander bekannt, nachdem sie sich selbst dem temporären Frontmann vorgestellt hatte. Zuvor hatten Emma und Emőke die Sache geschickt so eingefädelt, dass der Sänger derjenige war, der sie ansprach. Emőke stellte sogleich eine bissige Eröffnungsfrage:
    „Du bist also effektiv ein Seelenklempner?“
    Der junge namenlose Psychiater ärgerte sich über diese Bezeichnung (Seelenklempner). Der
Gut Durchblutete Unterbauch
hatte einen Song mit dem Titel
Seelenklempner
. Wenn sie diesen spielten, rief Tabaki den jungen namenlosen Psychiater auf die Bühne, wo dieser, um sich zu beruhigen, ungefähr sechzig Mal hintereinander brüllte: „Ich bin ein Seelenklempner! Ich bin ein Seelenklempner! Seelenklempner! Seelenklempner! Seelenklempner!“ Das war ein selbstheilendes Brüllen. Der Sänger stellte dadurch sein eigenes Sein in Zweifel. Er fiel in Trance, am Ende schäumte ihm sogar der Mund. Danach fühlte er sich stets besser, da er seine Zweifel hinausgebrüllt hatte. Die er damals noch hatte, das muss ich zugeben, denn ich möchte ihm gegenüber fair bleiben.
    „Nein, ein Schamane“, sagte der junge namenlose Psychiater lächelnd.
    Es war Frühling, spät am Abend, und der radioaktive Regen fiel in Strömen. Emma und Emőke hakten sich von zwei Seiten bei dem jungen namenlosen Psychiater unter und schleppten ihn durch die Stadt, als wäre er ihre Beute. Das war er auch, eine Jagdbeute: Nach dem Konzert in der Ráday Straße war es ihnen gelungen, ihn aus den Klauen von drei draufgängerischen Frauen sowie der Gesellschaft der restlichen Bandmitglieder zu befreien und ihn ins Unbekannte mitzunehmen, genauer gesagt, zu Emőke Széles, da Magda Feld gerade nicht zu Hause war. Sie war in einem Herzsanatorium, wie Emőke zynisch bemerkte,
Mama bereitet sich in einem Hochgebirgstrainingslager auf den Selbstmord vor
(diese harten Worte machten Emőke im September, als sie sich beinahe als Prophezeiung erwiesen, ziemlich zu schaffen). Jetzt war jedoch erst Frühling, spät am Abend, und sie liefen zu dritt unter dem riesigen Regenschirm des jungen namenlosen Psychiaters, den dieser mit beiden Händen festhielt.
    „Ein Seelenklempner ist nämlich genau das, was meine Freundin bräuchte. Sie ist verrückt. Sie ist den ganzen Tag im Regen herumgelaufen. Stimmt’s, Emma? Guck dir an, wie sie aussieht.“
    Emma hatte vier große, rote Punkte im Gesicht. Sie hielt eine halb volle Flasche Cognac in der Hand, die sie den anderen ab und zu anbot, ihr sah man jedoch keinerlei Wirkung an. Lächelnd bedeutete sie dem jungen namenlosen Psychiater, nichts auf Emőke Széles’ Worte zu geben, da sie die Verrückte sei.
    „Sie macht es, weil sie keine Kinder will“, fuhr Emőke Széles fort. „Sie hat einen Mutterkomplex, ihre Mutter ist nämlich viel schöner als sie.“
    Der junge namenlose Psychiater pfiff anerkennend. „Die Frau würde ich gerne sehen.“
    „Hörst du, das war ein Kompliment“, sagte Emőke Széles freudig und setzte erneut an, Emma anzupreisen. „Dabei möchte sie eine Muse sein. Aber eine von großem Format. Du weißt schon, wie diese beeindruckende Frau, Lou … Lou … Lou Andreas-Salomé, die zuerst Nietzsches Muse war, irgendwann bei Rilke und zum Schluss bei Freud landete. Sie rennt deshalb in diesem Regen herum, um sich einzureden, sie würde wegen der Strahlung ohnehin ein debiles Kind bekommen, deshalb wolle sie lieber gar keins, und dann könne sie ja ruhig eine Muse werden.“
    „Liebe Emőke“, sagte Emma, „reiß dich bitte zusammen.“
    „Ich reiß mich zusammen, Schwesterherz“, erwiderte Emőke Széles beruhigend und wandte sich an den jungen namenlosen Psychiater. „Sie ist also die Muse, und ich bin ihre Managerin. Schließlich braucht eine Muse ja auch eine Managerin, nicht? Also, unterhaltet euch.“
    Emőke Széles hatte die Situation missverstanden. Mit Emma war nämlich etwas Unerwartetes geschehen: Es hatte ihr die Sprache verschlagen. Sie konnte in Anwesenheit des jungen namenlosen Psychiaters einfach nichts sagen. Genauer gesagt, sie konnte nicht einmal stammeln. Darüber freute sie sich, da sie bereits seit einer Weile geglaubt hatte, den Maßstab zu hoch

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