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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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gestapelt, berauscht von ihrem eigenen Duft.
    Der Geruch einer Straße voller Tannen verbreitet sich über einen gesamten Stadtteil und der Ruf dieser Straße über eine ganze Stadt. Die Käufer strömen in die Sóház Straße. Die Bäume werden von Kerlen in Wattejacken und jungen Frauen in Strickpullovern verkauft, die in die Handschuhe pusten, mit einander scherzen und die Käufer von früh bis abends übers Ohr hauen. Die Käufer lassen das geschehen, denn ein Baum muss ja auf jeden Fall her und man bekommt ihn trotz allem hier am günstigsten, außerdem sind sie vom Tannenduft sowieso schon benebelt. Hier herrschen einfache Marktverhältnisse, die zudem noch gut riechen. Man verhandelt ein wenig mit den Verkäufern und zahlt. Und was die Tannen betrifft, sie gewinnen diese grobschlächtigen Verkäufer einfach lieb, wie der Mensch seinen Kidnapper, bleiben ihnen zuliebe bis Weihnachten frisch und beginnen erst danach, geschmückt, in den Wohnungen endgültig zu sterben.
    Vater und ich kamen jedes Jahr in die Sóház Straße, um den Weihnachtsbaum zu kaufen. Wir hätten ihn natürlich auch in Nyék beim Gemüsehändler kaufen können, wir wollten jedoch nicht so einen Baum, wie sie der Gemüsehändler in Nyék verkaufte: Er hatte doch nur ein paar Dutzend. Das war doch keine Auswahl! Wieso sollte ein Baum, wie wir ihn haben wollten, gerade in Nyék landen? Den meisten ist es egal, was für einen Weihnachtsbaum sie haben, für uns war jedoch ausschließlich der schönste Baum von Budapest gut genug. Etwas anderes kam nicht infrage. Mir hatte bis zu meinem elften Lebensjahr der Engel den Weihnachtsbaum gebracht (Vater mochte das Christkind nicht, er mochte Jesus), da meine Schwestern bis dahin so diszipliniert gewesen waren, mir die Wahrheit zu verheimlichen. Danach durfte ich Vater zum ersten Mal auf die Weihnachtsbaumjagd in die Sóház Straße begleiten.
    „Wir sollten nicht übertreiben“, sagte Vater unterwegs. „Nehmen wir an, dass jedes Jahr dreihunderttausend Tannen nach Budapest gebracht werden. Fünf oder sechs davon entsprechen unseren Vorstellungen. Oder zehn bis zwanzig. Sagen wir, fünfzig. Natürlich pro Kategorie. Und wir müssen zugeben, es gibt einige Kategorien. Also sollten wir wirklich nicht übertreiben, denn unser Baum wird nur einer der schönsten der Stadt sein.“
    „Aber einen schöneren wird es doch nicht geben?“, fragte ich besorgt.
    „Nein, einen schöneren nicht“, beruhigte mich Vater. „Es wird einige geben, die genauso schön sein werden wie unserer, aber keine schöneren.“
    Er zählte die Kategorien auf. Mit einem überlegenen, ja, etwas geringschätzigen Lächeln, mit dem man gerne nicht ganz so ernsthafte Angelegenheiten bedenkt. Das waren Familienkategorien für die Weihnachtsbäume. Sie stammten noch von Großvater. In der Sóház Straße zeigte mir Vater dann jeweils ein Musterexemplar für jede Kategorie. Wir benötigten, wegen der geringen Raumhöhe in unserem Haus in Nyék, einen sogenannten
asymmetrischen, zwei Meter hohen
. Einen, der auf der einen Seite so wenige Zweige hatte, dass man ihn gut in die Ecke stellen konnte, auf der anderen Seite dafür so dicht begrünt war, dass sich der Engel darin verlief. Und innerhalb dieser Kategorie natürlich den schönsten Baum Budapests, genauer gesagt den, der an Schönheit von keinem übertroffen wurde.
    Den Infarkt hatte Vater im August und seitdem hatte er sich recht gut erholt. Im September lief er bereits ein wenig im Garten umher, und dann hatte ihn die neue Allgemeinärztin (nicht mehr Vaddas Mutter, da diese weit weggezogen war, sondern eine neue) für zwei Wochen ins Herzsanatorium nach Sopron geschickt. Dort kam er wieder zu Kräften. Die Kontrolluntersuchung ergab eine Lebenserwartung von mehreren Jahrzehnten. Und doch verbrachte er seitdem die meiste Zeit im Bett, verließ das Schlafzimmer kaum, aber zumindest hatte er wieder angefangen, systematisch nachzudenken. Er holte eine seiner älteren Ideen hervor: Die Frage, wie man das Todesbewusstsein ausschalten könnte. Damals war er davon ausgegangen, dass der Mensch als Lebewesen ein fehlerhaftes, minderwertiges Produkt sei, das man, wahrscheinlich mit genchirurgischen Methoden, verändern müsse. Man müsse den Menschen einfach zu einem Lebewesen ohne Todesbewusstsein umkonstruieren. So kam er dazu, sich über das Dasein der Tiere Gedanken zu machen. Natürlich bemerkte er selbst gleich, dass er damit nichts Neues erfunden hatte, weshalb ihm die Lust an der

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