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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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dich darum.“
    „Soll ich fahren?“
    „Willst du?“
    „Ich weiß nicht.“
    „Sei ehrlich.“
    Sie nickte nur. Aussprechen konnte sie es nicht.
    „Dann fahr, bitte!“
    Denn ich freute mich darüber, dass sie wegfuhr. Und sie glaubte, dass ich mich heldenhaft opferte. Im Grunde war das alles, was ich ihr antat. Und was sie mir antat, war, tatsächlich wegzufahren.
    „Ist das in Ordnung? Wirst du nicht von mir enttäuscht sein?“
    „Nein.“
    Natürlich war ich ein bisschen enttäuscht. Dann fuhr sie weg.
    In der Woche vor dem Nikolausball gab Tante Gizella ihren Status als unabhängige Beobachterin vorübergehend auf und winkte mich auf dem Gang zu sich. Sie erzählte mir, dass Elemérs Schwester aus Italien zurückgekehrt sei und sich in einem furchtbaren Zustand befinde.
    „Ich weiß nicht, was zwischen Ihnen war, es interessiert mich auch gar nicht, aber passen Sie mit ihr auf, gut? Ich will nicht im Einzelnen darauf eingehen, was mit ihr in Italien geschehen sein mag, Sie sind ja auch kein Kind mehr, ich überlasse es Ihrer Fantasie. Sie ist sehr krank. Angeblich ist sie depressiv, ich weiß es nicht. Elemér ist völlig fertig wegen ihr. Er liegt mir ständig in den Ohren, mit Ihnen zu reden. Aber ich empfehle Ihnen genau das Gegenteil davon zu machen, was er sich wünscht. Nehmen Sie sich vor Évi in Acht!“
    „Vielen Dank, Tante Gizella, ich werde mich bemühen.“
    „Das wird wohl nicht ausreichen, mein Junge. Machen Sie sich auf alles gefasst. Angefangen mit Erpressung bis hin zum … egal, auf jeden Fall kann alles auf Sie zukommen.“
    Ich nickte, ja, ich würde mich in Acht nehmen, ich sei ganz ihrer Meinung.
    „Und kein Wort zu Elemér.“
    Unterdessen kamen wir im großen Lesesaal bei Tante Gizella an. Die Uhren zeigten das Jahr des Mongolensturms (12:41) an. Elemér hatte gehofft, dass Schwesterchen vielleicht inzwischen schon mit dem Christbaumständer zurückgekommen sei.
    „Gizella, sagen Sie, war in der Zwischenzeit niemand hier?“, fragte Elemér listig. „Ich habe schon geahnt, dass Schwesterchen nicht mehr zurückkommen würde. Aber das ist nicht so schlimm, jetzt müssen wir uns wenigstens nicht so beeilen, stimmt’s? Es bleibt uns genug Zeit, darüber nachzudenken, was mit dem Baum passieren soll.“
    Tante Gizella, die hinter der Theke stand, seufzte.
    „Elemér, wo haben Sie den Engländer gelassen?“, fragte sie, um Elemérs Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema zu lenken. „Hat er sich in Luft aufgelöst? Sie müssten ihn mal suchen. Und diesen Jungen lassen Sie bitte in Frieden, er hat bestimmt etwas zu tun.“
    Damit Elemér es nicht merkte, schüttelte sie kaum merklich den Kopf und bedeutete mir mit großen Augen: Ich solle mich auf keinen, keinen Fall einwickeln lassen, nicht auf Elemér hören, ich wisse ja, wie der Arme sei. Ich solle gehen und zwar schleunigst.
    „Na ja, ehrlich gesagt …“, antwortete Elemér langsam und verstummte.
    So viele Probleme auf einmal waren zu viel für ihn, außerdem wollte er ohnehin nur Zeit schinden, damit ich dablieb. Und als er schön gemächlich seine Antwort zusammengestellt hatte, wurde sie nicht mehr gebraucht, denn Schwesterchen traf ein, mit einem Christbaumständer unterm Arm. Sie hatte sogar eine Axt mitgebracht, da der Baumstamm bestimmt angespitzt werden müsste.
    Sie blieb vor mir stehen und lächelte mich stolz an, ja, nun sei sie wieder da. Sie sagte nichts, lächelte nur. Sie schämte sich, weil sie ohne mich nach Italien gefahren war und sie schämte sich, weil sie nun doch hier stand. Sie hatte sich kaum getraut, mir unter die Augen zu treten, aber nun war es endlich dazu gekommen: Sie stand hier, genau vor meinen Augen. Und lächelte.
    „Nun, wenn es sich schon so ergeben hat, Schätzchen, würde ich sagen, ihr zieht am besten zu zweit los und kauft den Baum. Gizella, das ist doch nicht schlimm, wenn sie einen kleineren kaufen, oder? Eben einen so großen, wie sie tragen können. Und ich werde mal nachsehen, wo sich der Engländer herumtreibt.“
    Somit hatte Elemér seine Mission erfüllt. Tante Gizella winkte ab und setzte sich an den Tisch.
    „Mir ist es egal, wie groß der Baum ist, den sie kaufen.“
    Nun ging es in die Sóház Straße, gemeinsam mit Schwesterchen.
    Vor Weihnachten ist die Sóház Straße der schönste Ort der Stadt. Anfang Dezember wird die gesamte Straße gesperrt, und es werden Zehntausende von zusammengebundenen Tannen hingeschafft. Diese liegen dann wochenlang aufeinander

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