Liebe Unbekannte (German Edition)
neutralisierte, Mutter stand jedoch am Herd mit dem Rücken zu Vater und sah die Geste nicht, hörte nur die Worte
Freies Europa
. Sie drehte sich erschrocken um und legte den Zeigerfinger an die Lippen, was Onkel Jónás zum Glück nicht sehen konnte, weil er mit dem Rücken zu Mutter saß. Aber ich sah genau, dass das Vater irritierte, denn in ihrer Ehe war es nie üblich gewesen, sich gegenseitig den Mund zu verbieten. Das musste auch sie wissen. Ich bemerkte, wie Vater wütend wurde, aber er riss sich zusammen.
„Dass es ja nicht anbrennt“, sagte er schroff zu ihr. „Pass bloß auf, dass es nicht anbrennt.“
„
Ich
passe auf“, sagte Mutter und wandte sich wieder um.
„Was sagen die Leute vom
Freien Europa
?“, fragte Onkel Jónás.
„Na, wahrscheinlich das Gegenteil“, antwortete Vater rätselhaft, bereits etwas weniger schwungvoll. Die Rätselhaftigkeit war in erster Linie an Mutter adressiert, um ihr zu bedeuten, dass er gar nicht so weit gegangen wäre, wenn sie ihn nicht ständig herumdirigieren würde.
„Das Gegenteil von was?“, fragte Onkel Jónás verdutzt.
„Na, davon, was man euch bei der Mitgliederversammlung erzählt“, sagte Vater mit einem Lächeln, und ich sah Mutter im Halbprofil, wie sie sich auf die Lippen biss. „Wenn man euch bei der Mitgliederversammlung erzählt, dass an der Donau in den nächsten zwanzig Jahren kein Kraftwerk gebaut wird, dann hört man im Radio
Freies Europa
am nächsten Tag, es werde eins gebaut. Nun, wir werden sehen, was sie morgen sagen.“
Der letzte Satz war als Strafe gedacht. Mutter war anzusehen, dass sie sich damit abfand: Sollte Vater doch erzählen, was er wollte, sie wusste, was man sagen konnte und was nicht.
„Also, István, ich sag dir ganz ehrlich: Weiß der Teufel, was das alles soll“, flüsterte Onkel Jónás, und es war nicht klar, ob er überhaupt fortfahren wollte, denn es klopfte an der Tür, Vadda trat ein und hielt um Erikas Hand an.
Obwohl es zwar bereits Vorzeichen gegeben hatte, traf Vater die Sache jetzt so unerwartet, dass er nicht in der Lage war, Nein zu sagen und weil ihm nichts Besseres einfiel, sagte er, es sei kein günstiger Zeitpunkt, da er zur Arbeit gehen müsse (er war Nachtwächter in der Konservenfabrik des Volkseigenen Guts), und man daher nicht darauf anstoßen könne. Dieses Argument war aber nicht sehr überzeugend, denn Vadda hatte schon zuvor einmal versucht, um Erikas Hand anzuhalten, damals hatte er jedoch glücklicherweise aus Versehen nur einen Ring mitgebracht, und man hatte mit formalen Mängeln begründen können, dass es nicht zur Verlobung kommen konnte. Vater ahnte, dass Erika Vadda nicht liebte und hoffte, Vadda sei durch Erikas ausgesprochen mäßige Begeisterung ein für allemal die Lust vergangen. Aber Vadda stand, die von seinen Großeltern geborgten Verlobungsringe in der Hand, mit erwartungsvollem Gesicht da, Erika sah Vater bestürzt an, Gerda und Mutter waren wie versteinert, und Onkel Jónás hielt sich an seinem Glas fest. Die Sache konnte nicht einfach so übergangen werden. Es herrschte Stille, die schwere Stille vor einer Entscheidung. Und plötzlich wurden wir von Pali gerettet:
„Tante Irénke, diese Kartoffelnudeln duften so, aber so herrlich, dass ich am liebsten gleich nach Hause gehen würde, sonst haben wir ein Problem.“
Wir hatten Zeit gewonnen. Mutter, Vater, Gerda, Erika und ich folgten Pali bis zum Gartentor, als sei er der Messias. Vadda kam taktvollerweise nicht mit. Er blieb in der Küche mit Onkel Jónás, der sich den Kartoffelnudeln widmete. Vor dem Tor stand nicht Vaddas alter Trabant, sondern der Ford der Frau Doktor. Mit diesem hatte sie ihren Sohn zu uns geschickt, damit er um Erikas Hand anhielt. Das war der einzige Ford in Nyék.
Vater gab Pali die Hand, die Frauen küssten ihn zum Abschied auf die Wange. Für diese Szene, die sich vor unserem mit einer Plane bedeckten Haus abspielte, schämten wir uns später alle, denn wir benutzten Pali Wampe, den wir auf unsere Art mochten, als Vorwand. Nachdem Pali gegangen war, brachen wir mit gedämpften Stimmen in eine blitzschnelle Diskussion darüber aus, wie die Brautwerbung abzuweisen sei.
„Was soll ich jetzt machen?“, fragte Erika, wobei sie verlegen lachte. „Sagt doch etwas.“
„Du wolltest es so“, antworteten Gerda und Vater wie aus einem Mund.
„Ich will nicht heiraten.“
„Wirst du auch nicht“, sagte Mutter und strich ihr über den Kopf. „Aber wie kommt er überhaupt auf
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