Liebe Unbekannte (German Edition)
wahrscheinlicher, dass sie es insgeheim doch getan hatte, denn wenn ein Junge in der Pubertät Fotografien schöner, junger Frauen sammelte, konnte das ja nur ein gutes, gesundes Licht auf den betreffenden Jungen und seine gesamte Familie werfen.
Na und? Wen interessiert das schon, dachte ich und machte mich mit der Osterplatte in der Hand, dem Parfüm in der Tasche, meiner Schwester an der Seite und professionell verheimlichter Aufregung im Herzen auf den Weg zu den Olbachs ins Flachland.
Das Flachland war früher einmal das natürliche Überschwemmungsgebiet der Donau gewesen. Ende der zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts, als es hier oben auf der Serbenspitze bereits Straßen gab und lustiges Leben herrschte, grasten unten im Flachland noch Schafe. Auf Fotografien aus jener Zeit sind manchmal sogar fünf Schafherden zu sehen, die sich das Flachland teilten. Damals wurde der zu Nyék gehörende Teil dieser kleinen Tiefebene von Grundstücksspekulanten parzelliert, die dann Onkel Olbach herlockten, der natürlich noch kein Onkel war, sondern ein leichtgläubiger Bibliotheksbursche im heiratsfähigen Alter und mit wenig Geld in der Tasche, der ein günstiges Dach überm Kopf suchte. So gerieten er und seine Verlobte, Margit Nemes, Emmas Großmutter, ins Netz der Spekulanten, die den hohen Grundwasserspiegel unerwähnt ließen und ihnen ein Grundstück mitten im Flachland aufschwatzten. Man erzählte ihnen, diese Gegend werde sich innerhalb weniger Jahre zu einer Gartenstadt, ja, einem modernen Villenviertel entwickeln. Das entscheidende Argument des Immobilienmaklers war die Lüge, dass innerhalb von drei Jahren eine Vorortbahn nach Nyék fahren würde, mit der das Ehepaar Olbach in nur einer halben Stunde zu seinem Arbeitsplatz, der Korvin Bibliothek, würde gelangen können. Die halbe Stunde stimmte sogar, da sie anfangs mit dem Motorrad zur Arbeit fuhren. Später, als sie älter wurden, wurde diese halbe Stunde länger: Mit Bus und Straßenbahn dauerte es bis zu anderthalb Stunden, ja, einmal brauchte Onkel Olbach ganze viereinhalb Jahre, um zur Arbeit zu kommen. Zugegeben, er machte auf dem Weg einen kleinen Abstecher ins Gefängnis, wie er später gerne scherzend erzählte.
Was das Villenviertel betraf, so tat der Immobilienmakler wirklich alles, was in seiner Macht stand: Er zeigte einem Dutzend Beamtenehepaaren, die er mit dem Bus zum Flachland gelockt hatte, die auf ihrem Grundstück zeltenden Olbachs, als wären sie wohlhabende Leute aus Budapest, die sich nur wegen der unvergleichlichen Donauluft ein preiswertes Grundstück hier gekauft hätten. Die Beamtenehepaare waren jedoch nicht auf den Kopf gefallen. Sie nickten und stiegen zurück in den Bus. Danach fielen die Grundstückspreise in den Keller, und das Flachland wurde von armen Leuten bevölkert. Von einigen Hundert Familien und mehreren Dutzend Dialekten. Sie waren vor dem Elend nach Budapest geflohen, kamen jedoch nur bis Nyék und auch hier nur bis ins Flachland.
„Na, gnädiger Herr, sind Sie aufgeregt?“, fragte mich Gerda in dem affektierten Ton, den ich nicht ausstehen konnte, der mich jedoch gleichzeitig entzückte. Sie ahmte damit Mutter nach und war dabei ebenfalls stets von sich selbst entzückt. Auch diesmal.
„Ich habe schon gesagt, dass das nicht der Fall ist. Meine Dame.“
„Dann sind der gnädige Herr aber dumm. Man muss jeden Augenblick der Liebe auskosten. Wenn Sie mich fragen, wie sich die äußere Erscheinung Ihrer Verlobten in den vergangenen Jahren entwickelt haben mag, kann ich Ihnen versichern…“
„Hör endlich auf, sie sind längst nach Hause gegangen. Sie sind nicht einmal nach Nyék gekommen und überhaupt …“
Gerda lächelte. Sie wusste, dass ich es gern hatte, wenn sie so mit mir sprach, und ich nur so tat, als würde es mich stören. Wir waren schon auf dem Flachland angekommen. Sie blieb stehen und kämmte mit der Hand meine Haare zurecht, damit ich ein gutes Bild abgab. Mit der Osterplatte in der Hand konnte ich mich nicht wehren. Wollte ich auch nicht wirklich. Es tat gut. Ich verstand nur nicht, weshalb sie so langsam ging. Ich hätte mich lieber beeilt.
„Sie kommen doch gar nicht in dieses blöde Kaff“, murmelte ich zum Schein vor mich hin.
Emma und ihre Mutter kamen wirklich nie nach Nyék, höchstens an Feiertagen. Und wir trafen sie auch dann nicht, da sie sich in Nyék nie auf unseren Wegen bewegten. Es gab nämlich eine unsichtbare Trennlinie zwischen dem Haus der Olbachs und unserem. In
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