Liebe Unbekannte (German Edition)
nach drei Tagen mit einem großen Rosenstrauß und Geld für die Matratze, auf die sich Emma übergeben hatte, bei uns vorbei. Er versteckte das Geld unter der Vase, aber Gerda fand es und Vater brachte es nur deshalb nicht gleich zurück, weil nun ich zwischen Leben und Tod schwebte. Zwei Stunden später ging es bei Erika los, dann bei Gerda und Vater. Mutter pflegte alle allein und kochte auch für den Arzt, der für einen Tag und eine Nacht zu uns zog. Er rettete uns alle und sah – ebenso wie bei Emma – davon ab, uns ins Krankenhaus einliefern zu lassen. Er beruhigte uns und sein eigenes Gewissen damit, dass dies keine Epidemie sei, sondern eine Vergiftung mit akutem Verlauf. „Die Tage gibt es in der Gegend irgendeinen chemischen Stoff in der Luft, wahrscheinlich werden in Nyék auch noch andere erkranken.“ Diese seltsame Erklärung erhielten wir von ihm. Er wollte auch kein Honorar annehmen, aber Mutter ließ ihn nicht ohne gehen. Wir waren seine letzten Patienten in Nyék. Danach kam er uns jeden Tag besuchen. Zu seinem Abschiedsbesuch brachte er zwei Flaschen Wein mit und blieb bis nach Mitternacht. Dann zog er mit seiner betagten Mutter nach Bonyhád, von wo aus er uns bald einen überraschenden Brief schickte.
Ich hatte in jenem Herbst meinen Schulanfang, doch wegen der Krankheit versäumte ich die erste Woche. Dabei ging es mir schon nach zwei Tagen wieder gut. Ich war ganz ungeduldig. Ich konnte den nächsten Montag kaum erwarten, um meine Klasse zu sehen, weil ich wusste, dass Emma schon längst wieder gesund war und auch dort sitzen würde, da man sie früher eingeschult hatte. Sie würde in Nyék in die erste Klasse gehen! Und zwar in meine Klasse, das hatte Mutter schon recherchiert. Als ich schließlich den Klassenraum betrat, war Emma nicht da. Sie kam auch nicht zu spät, wie ich insgeheim hoffte, sie kam gar nicht. Wegen ihrer Krankheit ließen Onkel Olbach und Tante Mara sie nicht die Schule beginnen, sie sollte sich noch ein Jahr ausruhen. Sie meldeten sie von der Schule ab und in den Kindergarten schickten sie sie auch nicht zurück.
Sie war es also, die Mutter für mich als Ehefrau ausgesucht hatte. Und ich hätte auch nichts dagegen einzuwenden gehabt, obgleich ich mir darüber im Klaren war, dass wir im 20. Jahrhundert lebten, man aus Liebe heiratete, und das von nun an immer so sein würde. Und ich war nicht in Emma verliebt, was ich Mutter auch klipp und klar sagte. Aber an Emmas Worte erinnerte ich mich ganz deutlich, zum Beispiel, dass sie im Fiebertraum von einem Klosterbruder gesprochen hatte. Obgleich Mutter später erfuhr, dass Onkel Olbach und Tante Mara früher evangelisch waren, ihrem Glauben jedoch den Rücken gekehrt hatten, erwähnte auch sie immer wieder diesen Mönch und sagte, was für ein gebildetes Mädchen Emma doch sei.
Bis zu diesem Ostermontag waren sieben Jahre vergangen. Ich hatte Emma seitdem nie wieder gesehen.
Gerda ordnete ihre Haare.
„Bring die Parfümflasche mit“, sagte sie. „Vielleicht ist Emma ja auch noch da.“
Diesen Satz warf sie mir als Köder zu, damit ich mehr Lust hatte, sie zu begleiten. Aber ich erinnerte mich kaum noch an Emma. Früher hatte ich an jedem Ostermontag gehofft, sie würde gerade bei ihren Großeltern sein, wenn wir sie besuchten, aber wir trafen sie dort nie an. Mich trieb nur noch das Pflichtbewusstsein zu ihnen, ich dachte, es gehöre sich einfach, Tante Mara zu begießen. Vater hatte sich das bereits abgewöhnt. Onkel Olbach kam es gar nicht erst in den Sinn, zu uns zu kommen, um Mutter und die Mädchen zu begießen. Ich hatte mittlerweile gelernt, dass ich vergebens hoffte. Davon abgesehen war ich seit Jahren – hartnäckig, hoffnungslos, beinah schon gelangweilt – in meine Klassenkameradin Krisztina Del Mondo verliebt, die Tochter des aus der Schweiz stammenden Ratspräsidenten von Nyék. Das wusste sogar Gerda. Daher war der Köder ungeeignet, um mich anzulocken. Aber ich begleitete sie trotzdem.
Wenn schon, dann gefiel mir eher Edit Perbáli, Emmas Mutter. Ich besaß einen alten Prospekt der ungarischen Fluggesellschaft MALÉV, den mir Mutter besorgt hatte. Unter dem Vorwand, ihn der Familie zeigen zu wollen, lieh sie ihn sich von Onkel Olbach aus und gab ihn nie mehr zurück. In diesem Prospekt war eine Fotografie Edit Perbális zu sehen. Mutter behauptete, nicht verraten zu haben, dass sie den Prospekt für ihren Sohn haben wollte, wenn ich aber heute darüber nachdenke, halte ich es für
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