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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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sagte sie, und er beließ es dabei.
    „Meine Krokodilledertasche“, log Mutter überflüssigerweise. „Bald geht sie ganz kaputt, aber schon jetzt kann man sich nicht mehr mit ihr sehen lassen.“
    „Ich kenne einen guten Täschner“, sagte Onkel Jónás.
    „Tamás, bitte“, sagte Mutter und gab mir durch Zeichen zu verstehen, ich solle mit Gerda mitgehen und die Parfümflasche holen, ohne dass Onkel Jónás es bemerkte. Ich verstand, holte sie von Onkel Jónás unbemerkt, aber plötzlich erwies sich die ganze Aktion als unnötig, da Onkel Jónás richtig wach wurde und sah, dass Vater gar nicht mehr da war.
    „Na, dann mache ich mich mal auf die Socken“, sagte er und ging.
    Diese Wendung, mit der wir schon gar nicht mehr gerechnet hatten, zeigte sofort Wirkung: Wir konnten uns wieder unterhalten.
    „Vielleicht ist deine Verlobte noch da“, sagte Mutter mit einem Augenzwinkern. „Dann kannst du auch sie begießen.“
    Ich spürte, wie ich errötete. Mutter wusste eigentlich, dass die Familie meiner
Verlobten
schon seit Jahren kaum nach Nyék kam. Sie wohnte irgendwo auf dem Land und meine
Verlobte
wurde von ihrer Mutter, die ihr verbot, ihre Großeltern zu besuchen, allein erzogen. Diese Mutter hatte ich nur auf Fotografien gesehen und durch die von meiner Mutter zensierten, aber auch so noch vernichtenden Nyéker Gerüchte über sie gehört: eine furchtbare Frau. Eine Hexe. Sie ließ Emma hungern. Sie selbst aß überhaupt nichts. Trank nur Kaffee. Sie lebte von Kaffee. Schwarzem Kaffee ohne Zucker. Und sie trank natürlich, soff wie ein Loch, klar. Wechselte wöchentlich die Liebhaber. Im Grunde interessierte ich mich für die Mutter meiner
Verlobten
mindestens ebenso sehr wie für meine
Verlobte
.
    Meine
Verlobte
war einige Monate jünger als ich. Ich habe sie ein einziges Mal getroffen, vor sieben Jahren, 1969, in einer Nacht Ende August, zwei Tage nachdem wir vom Belgrad-Kai nach Nyék gezogen waren. Emma war kaum sechs Jahre alt und schwebte zwischen Leben und Tod. Ihr Großvater, der nachts um zwei wie von Sinnen mit Emma im Arm in unser Haus stürmte, weil er dachte, Mutter sei die neue Allgemeinärztin, sagte, sie habe
Nervenfieber
. Vater fuhr im Pyjama mit dem Rad, das wir im Schuppen gefunden hatten, los, um den richtigen Arzt zu benachrichtigen, verirrte sich aber, weil er sich in Nyék noch nicht auskannte, und traf den Arzt dann nicht zu Hause an, weil Tante Mara in der Zwischenzeit die Telefonnummer doch gefunden, den richtigen Arzt in unsere Straße geschickt und ihm gesagt hatte, er solle in das Haus gehen, wo Licht brenne. Es herrschte in diesen Morgenstunden ein heilloses Durcheinander in Nyék, der Arzt kam mit dem Moped, Tante Mara kam angerannt, und zum Schluss kam der arme Vater und schob das halb zerfallene Fahrrad. Emma lag auf einer Matratze mitten im Wohnzimmer und redete zusammenhanglos. Sie sprach von einem Klosterbruder, und Mutter konnte sie nicht so hinlegen, dass es sie nicht schmerzte. Der richtige Allgemeinarzt kam im letzten Moment mit der Spritze. Er saß die ganze Nacht auf einem Stuhl neben Emmas Matratze, denn damals schlief die ganze Familie noch auf Matratzen auf dem Boden.
    Der richtige Allgemeinarzt, obgleich er eigentlich einen Abschluss als Zahnarzt hatte und die Zuständigkeit für Nyék schon eine Woche später Vaddas Mutter übergab, rettete Emma vor dem Tod. Er beruhigte Onkel Olbach und Tante Mara, das sei kein
Nervenfieber
, sondern eine Lebensmittelvergiftung, und nach ein bisschen Überredung seitens der beiden, willigte er sogar ein, Emma nicht ins Krankenhaus einliefern zu lassen. Sie lag bis zum nächsten Abend bei uns, wurde nur einmal von der Matratze in das Bett gelegt, das Vater inzwischen für sie aufgebaut hatte. Ihre Großeltern saßen abwechselnd neben ihr. Und wir, Erika, Gerda und ich, erfreuten uns den ganzen Tag an ihrem Anblick. Ja, auch an dem der beiden Alten. Sie waren sehr schöne alte Leute. Ihre Haare, ihre glänzenden Schuhe, Onkel Olbachs Krawatte, ihre Art zu reden …
    „Emmas Eltern sind gerade auf Urlaub in Jugoslawien“, erklärte Tante Mara. „Wir wollen sie nicht mit einem Telegramm beunruhigen.“
    Sowohl Gerda und Erika als auch ich dachten, es würde gar nicht so schlimm sein in Nyék zu wohnen, wo es Mädchen gab, die sogar noch im Fiebertraum von Klosterbrüdern sprachen und Großeltern, die nicht beunruhigen wollten.
    Am Abend ging es Emma etwas besser, und ihr Großvater trug sie nach Hause.
    Onkel Olbach kam

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