Liebe Unbekannte (German Edition)
kennen. Ervin Gál machte Gerda ein vorsichtiges Kompliment, Mutter sah man an, dass es sie mit Stolz erfüllte, Ervin Gáls Frau ermahnte ihren Mann in neckischem Ton, er solle Gerda nicht den Hof machen, und als ich Gerda ansah, bemerkte ich, wie sie errötete und die Lage genoss. Ich sah, dass ihr das gefiel. Ihr, die Erika wegen ihrer Eitelkeit so oft angegriffen hatte. Völlig verblüfft beobachtete ich sie. Sie war genauso von der Anwesenheit des berühmten Mannes eingeschüchtert wie Mutter. Und wie ich – das bemerkte ich jedoch wenigstens nicht.
Dabei war Ervin Gál eigentlich ein Häufchen Elend. Einmal im Monat murmelte er im Fernsehen unverständliches Zeug über Kunst. Man hatte stets den Eindruck, er könne nicht mehr weitersprechen, dann sagte er vor lauter Unbeholfenheit ein lateinisches Wort, danach noch eins, um das erste zu erklären und noch eins, wie jemand, der sein Gleichgewicht verloren hat. Er konnte zehn Minuten auf diese Art um sein Gleichgewicht ringen. Auf jeden Fall war er ein berühmter Mann, berühmter als Onkel Olbach, den man nur hin und wieder im Radio hörte. Ervin Gáls Frau lächelte und bekräftigte ihr Versprechen, nach Hause zu fahren, ihr Mann könne ruhig noch ein Gläschen trinken. Woraufhin Onkel Olbach wieder seinen Zauberschnaps holte.
„Für Tomi nur ein bisschen“, sagte Mutter, was gleichzeitig bedeutete, dass er ihr ruhig reichlich einschenken konnte und Gerda ebenfalls. Aber Gerda wollte nichts. Sie blickte lieber streng.
Mutter war verlegen, zunächst wegen Ervin Gál. Sie wollte mit Onkel Olbach über Gerda reden, ihm erzählen, dass sie im Sommer ihre Aufnahmeprüfung haben würde, und sie sehr dankbar wäre, wenn tatsächlich jemand da sein könnte, um ein Auge auf sie zu werfen. Dieses Anliegen konnte sie nun wegen des Ehepaars Gál schon mal nicht anbringen. Außerdem war es ihr ohnehin äußerst unangenehm, um einen Gefallen zu bitten. Zudem befürchtete sie, sie wäre Gerda und mir peinlich. Deshalb fing sie an zu reden, und vor lauter Verlegenheit sagte sie immer peinlichere Sachen. Zunächst erzählte sie nur von ihrer eigenen Aufnahmeprüfung, womit sie gleichzeitig eingestand, keinen Hochschulabschluss zu haben (Gerda biss sich auf die Lippen), was Ervin Gál und seine Frau nicht im Geringsten etwas anging, doch dann fing sie – weil sie sich nicht traute, Gerdas Angelegenheiten anzusprechen – auch noch an, von der kleinen Emma zu schwärmen, die sie seit sieben Jahren nicht gesehen hatte, und zum Schluss brachte sie Onkel Olbach und Tante Mara vor den Gáls in eine ausgesprochen unangenehme Lage.
Denn sie befragte die Olbachs nach Emmas Mutter. Es war schön, wie sie über sie sprach – nur hätte man eben überhaupt nicht über sie sprechen sollen. Sie sagte, Edit sei wie eine Stewardess gewesen: groß, ernst, hübsch, blond, ihre Bewegungen seien ein bisschen ungelenk gewesen, aber wirklich nur ein bisschen … als wäre sie … ja, wirklich, als wäre sie … im Himmel daheim …
„Das hat meine Tochter einmal über sie gesagt“, sagte sie auf Gerda deutend. „Dieses kleine Mädchen hier, ja, und nun macht sie dieses Jahr schon das Abitur und die Literatur interessiert sie auch sehr, nicht nur die Biologie, wobei sie Medizin studieren will … Was hast du noch mal genau gesagt, Gerda? Dass Tante Edit im Himmel daheim sei?“
Gerda biss sich auf die Lippen.
„
Im Himmel daheim
habe ich ganz bestimmt nicht gesagt“, antwortete sie mit hochrotem Kopf. „Ich habe gesagt, dass sie eine ätherische Erscheinung ist.“
„Mag sein. Wir haben es irgendwo aufgeschrieben“, sagte Mutter. „Ich werde es mal heraussuchen. Als die Kinder klein waren, haben wir ihre Sprüche nämlich immer notiert … und das vorhin meinte ich nicht so, dass sie wirklich ungelenk gewesen sei, sondern … ätherisch …“
Wir versanken vor Scham.
Dabei war es schön und wichtig, was Mutter in ihrer furchtbaren Verlegenheit sagte. Und es entsprach sogar der Wahrheit, denn Emmas Mutter war eine Zeit lang tatsächlich Stewardess gewesen. Was Mutter allerdings nicht wissen konnte, war, dass Ervin Gáls Frau während ihrer gesamten gottverdammten Ehe, ja, sogar schon vorher, auf diese Frau eifersüchtig gewesen war. Eifersucht ist hier noch ein milder Ausdruck, denn Ervin Gál hatte dieser Frau jahrelang hinterhergehechelt, diese Frau hatte Ervin Gál jedoch stets so betrachtet, als sei er ein Wurm, und das war der Grund dafür, weshalb Ervin Gál seine Frau
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