Liebe Unbekannte (German Edition)
das mache ich nicht, es ist nur …“
„Dass ein bisschen Verhandeln deinem seelischen Gleichgewicht guttut, klar. Hör auf zu verhandeln, fahr hin, dann hast du es hinter dir.“
„Ich muss zurück ins Lager.“
„Das ist jetzt wichtiger.“
„Und wenn ich, sagen wir, morgen bei ihm vorbeigehe? Am Abend?“
„Komm, erzähl mir nichts von morgen. Was, wenn du morgen früh Patai über den Weg läufst? Was sagst du ihm, wenn er dich anhält?“
„Aber warum sollte er mich anhalten?“
„Aber, aber, aber! Glaubst du etwa, ihm ist dein Nachname nicht aufgefallen? Du kannst vollkommen beruhigt sein, er ist ihm schon längst aufgefallen.“
„Diese Woche werde ich ihm ganz sicher nicht mehr begegnen. Er ist nur heute ins Lager gekommen.“
„Du bist naiv.“
„Wir sind hundertfünfzig Studenten in meinem Jahrgang. Er wird meinen Namen höchstens bei der Prüfung sehen. Oder nicht einmal dann. Vielleicht werde ich meine Prüfung gar nicht bei ihm machen.“
„Das wirst du. Keine Sorge, du wirst sie bei ihm machen. Du willst doch nicht, dass ich mit dir zu Onkel Lajos fahre? Dass ich dich begleite wie ein Kind.“
Er drückte die Hände gegen den Magen, und um seinen Mund zeichneten sich zwei Schmerzlinien ab. Er schob den Teller beiseite. Ich bemerkte erst jetzt, dass er kaum etwas gegessen hatte.
„Ich bitte dich, diskutier nicht mit mir. Du bist doch nicht blöd. Du weißt genau, was auf dem Spiel steht.“
Ich gab klein bei. Ich wusste auch, was auf dem Spiel stand. Ein Feind von der Sorte Patai konnte meine Zukunft im Handumdrehen ruinieren. Und wer weiß, unter Umständen auch die von Gerda. Oder Vaters Gesundheit, wenn ich selbst bei solchen Nichtigkeiten mit ihm diskutierte, wo es doch wirklich keine große Sache war, für eine Stunde nach Budapest zu fahren. Und vielleicht würde ich Onkel Lajos mit der Nachricht, dass unsere Familie wieder in Patais Sichtfeld geraten war, zwar nicht gerade eine Freude bereiten, aber ihn zumindest in eine kleine Aufregung versetzen.
„Kann ich meine Weiterbildung in Sachen Patai nicht bei dir machen?“
„Er war nicht mein Busenfreund, sondern Lajos’.“
„Ach so. Ich dachte, ihr wäret auch befreundet gewesen.“
„Nun ja, ich habe ihn gekannt. Aber ich habe stets auf einen gewissen Abstand zwischen uns geachtet und ich sollte recht bekommen. Lajos war aber immer furchtbar blauäugig. Das ist er eigentlich immer noch. Er wird dir hässliche Geschichten erzählen und dabei vor Glück über das Auftauchen dieses Schurken vergehen. Du wirst sehen.“
Ich nickte, als Eingeständnis meiner Niederlage. Er feierte seinen Sieg mit einem zerstreuten Lächeln.
Das Grundprinzip der Zeitmaschine war ihm in einem Traum erschienen, als er zehn Jahre alt war, er floh jedoch lange vor der Aufgabe. Wir wohnten bereits hier in Nyék, als er darauf kam, dass er, statt eine Zeitmaschine zu bauen, die Traumprozesse an eine Stelle locken musste. Damals begann er mit dem Bau der Maschine. Unser Garten mit dem ehemaligen Donauufer erwies sich als der ideale Ort für solche Experimente. Die Donau sei auch eine Art Organismus, erklärte Vater. Sie sei nicht nur Wasser, sondern auch ein ständiger Gedankenstrom. Diesen müsse man herlocken und konzentrieren. Man brauche ein Doppelbett, einen bequemen Schlafplatz. Vater baute diese Konstruktion, aber sie funktionierte natürlich nicht, weil wir in einer rationalen Welt leben.
„Sag mal, Tamás, hat er sonst noch etwas gesagt?“, fragte er, mit dem Topf in der Hand, etwas ungenau, denn bis jetzt war ja keine Silbe darüber gefallen, was Patai eigentlich gesagt hatte.
„Wer?“, fragte ich, weil ich an Gerda dachte.
„Na, dieser Gauner.“
„Ach, nichts Besonderes“, winkte ich mit der von Vater erlernten Methode ab. „Nur das übliche Geschwafel. Marx, Engels, Lenin …“
Damit hatte ich Vater eine befriedigende Antwort gegeben, eine ausreichend verachtende, spöttische, verbündende. Ich hatte bekräftigt, dass er und ich weiterhin auf dem gleichen, gemeinsamen, festen, antikommunistischen Boden standen. Dabei hatte ich jedoch zugegebenermaßen Patais Worte stark vereinfacht, damit Vater nicht merkte, dass sie eine Wirkung auf mich ausgeübt hatten.
„Wo leben Sie? Schreiben Sie sich die Frage auf und unterstreichen Sie sie zweimal: Wo leben wir? Haben Sie es? Dann würde ich gerne eine Antwort hören. Na, wo leben Sie? Sie schweigen? Ich möchte die nächstliegenden Antworten hören. Hä? Herr Halász? In
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