Liebe und andere Parasiten
der Heckklappe eines Wagens saß, den Kopf zwischen den Knien, nachdem er beim Geländelauf in Crystal Springs keine Platzierung erreicht hatte? Oder an ihren Lieblingsstich von Don Quijote in der alten Ausgabe im Haus ihres Großvaters? Das ist er, dachte sie, dieser leidende, hoffende Ritter.
Ehe sie nach ihrer Rückkehr Alex aufsuchte, fragte sie Batini nach ihrer Meinung zu den Ohrringen, die sie sich ausgesucht hatte, und Batini diskutierte die Frage sehr ernst mit ihr.
Alex wachte erfrischt in einem fremden Bett auf. Es war spät am Nachmittag, vermutete er. Über ihm hing ein Metallring mit einem aufgerollten Moskitonetz. Von dort aus, wo er lag, konnte er einen rautenförmigen Ausschnitt des Himmels sehen, ein schwach eingedunkeltes Gelb, das eigentümlicherweise trotz seiner Gleichförmigkeit Tiefe hatte. Seine Verstimmung vom Morgen hatte er vergessen. Er erinnerte sich, dass Bec distanziert gewirkt hatte, schaute auf sein Telefon, sah, dass es nach fünf war, wusch sich eilig und zog seine neuen Leinensachen an.
Er fand sie in einem Rohrsessel auf der Veranda, auf ihn wartend, wie es schien. Der Abendchor der Vögel und Insekten setzte gerade zum Konzert an, und von der Straße quäkten die Mopedhupen. Hinter den Bäumen am unteren Ende des Gartens nahm der Betonrohbau eines halb fertigen Mietshauses im Licht der untergehenden Sonne eine weiche Spinnwebfarbe an. Bec drehte sich ihm zu und stand auf, und ihre Augen und Ohrringe funkelten im letzten Tageslicht. Sie hatte die Haare hochgesteckt. Sie begann zu sprechen, und Alex hörte die Wörter, aber machte sich gar nicht erst die Mühe, die Bedeutung zu erfassen von »wie hast du geschlafen tut mir leid dass ich dich nicht aufgeweckt habe aber du sahst so friedlich aus es ist wahrscheinlich zu spät für den Markt aber unten am Hafen gibt es ein nettes Lokal wo wir vor dem Essen etwas trinken können«.
»Klingt doch gut«, sagte er. Beim Waschen und Anziehen hatte er sich vorgesagt, dass er ihr ein Kompliment zu ihrem Aussehen machen musste, einerlei wie sie aussah. Aber jetzt, da sie vor ihm stand, kam ihm alles, was er hätte sagen können, billig und deplatziert vor. Wenige Wochen zuvor hatte er gesagt bekommen, er sei ein Leviathan der Wissenschaft, hatte selbstbewusst live im Radio und auf internationalen Nachrichtenkanälen geredet und auf Konferenzen vor mehreren hundert Teilnehmern Vorträge über zelluläre Zeitmessung gehalten. Trotzdem war im Moment die Erinnerung an seine Sprachlosigkeit und Unentschlossenheit damals im Regen in Cambridge stärker.
»Lass uns ein Weilchen hier sitzen«, sagte er. Er zog sich einen zweiten Sessel heran, und sie setzten sich einander so dicht gegenüber, dass seine Knie beinahe den Saum ihres kirschblütengemusterten Baumwollrocks berührten. Sie stellten sich gegenseitig Alltagsfragen, bis sich eine dicke Blase ungesagter Dinge zwischen sie schob.
»Was ist es eigentlich an einem anderen Menschen, das ihn dir bekannt erscheinen lässt, bevor du ihn überhaupt kennst?«, sagte Alex. »Es muss etwas im Aussehen sein, nehme ich an, in der Art, sich zu bewegen. Irgendwas Kleines. Ich wüsste nicht, wo ich gelernt haben sollte, darauf zu achten.«
»Dann wäre da noch das, was er sagt«, sagte Bec.
»Ja, und das, was er tut, aber davor gibt es eine andere Sprache. Du liest sie, ohne zu wissen, dass du sie liest. Die Schrift ist hauchfein. Die Augen sind einen Millimeter größer oder kleiner, eine Idee leuchtender.« Alex führte Zeigefinger und Daumen vor sein Auge und spähte durch die Lücke, als ob sie ein Nadelöhr wäre. »Das Lächeln, der Kopf, ihre Haltung.«
»Ach, es ist eine Frau!«
»Diese Bewegungen, diese Größenverhältnisse – sie sind zu winzig und komplex, man kann sie nicht messen.«
»Würdest du das wollen?«
»Schönheit hilft.«
»Da haben wir’s.«
»Aber das ist es nicht. Was darin verschlüsselt ist und wie du es liest, das ist es.«
»Gib mir ein Beispiel.«
»Mir fällt dabei eine Frau ein. Sie ist attraktiv, wie es der Zufall will, und klug, aber das ist es nicht. Schon bevor ich sie kennengelernt und überhaupt mit ihr gesprochen hatte, habe ich irgendwie gesehen, dass sie offen denkt. Du hörst Leute von ›Offenheit ‹ reden, ›ich bin offen für neue Erfahrungen ‹ und so weiter, und damit meinen sie bloß, dass sie in der Mauer um sich herum eine kleine Luke öffnen und kurz mal einen Blick hinauswerfen.« Er legte die Handballen zusammen, klappte die Finger
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