Liebe und andere Parasiten
verpfeifen? Ich werde meinen Entschluss nicht ändern. Wenn er mich dazu bewegen will, vermache ich dir das Haus direkt.«
»Ich würde es nicht nehmen.«
»Kinder sind anders, als du denkst«, sagte Harry. »Er ist mehr von mir und seiner Mutter enttäuscht als ich von ihm. Er ist mein Sohn, und ich habe den Willen, das Kind zu bestimmen, das ich am liebsten mag, und das bist nun mal du. Es hätte Dougie sein können. Es hätte irgendwer von der Straße sein können.« Er blickte auf, gab Alex die Gelegenheit, etwas zu sagen, und als Alex nichts sagte, blinzelte er nur und fuhr fort. »Du hast Kinder – wer weiß? Du behandelst sie wie Prinzen und Prinzessinnen, du mummelst sie abends in weichen Betten ein, du gibst deinen letzten Penny für sie aus, du bringst ihnen alles bei, was du weißt, du liebst sie und sagst ihnen, wie wunderbar sie sind, und sie werden zu Lügnern und Huren und Dieben. Sie verraten dich. Oder du haust ihnen die Hucke voll, lässt sie arbeiten, wenn sie sechs sind, lässt sie hungern, beschimpfst sie, sagst ihnen, aus ihnen würde doch nie was werden, und sie machen das als ihr Studium durch. Sie blühen und gedeihen. Sie beherrschen die Welt.«
40
Bec schickte einen Wagen, der Alex in Daressalam vom Flughafen abholte. Er hatte auf dem Nachtflug von London nicht geschlafen. Auf dem Weg zu der Villa, in der Becs Team einquartiert war, schmerzten ihm die Augen und ihm drehte sich alles. Auf den Straßen nahm er wie gedämpft Dieselschwaden, kreuz und quer fahrende Motorräder, gleißendes Licht und schwarze Schatten wahr. Das Gefühl, dass die Reise zu Ende war, erzeugte in ihm eine aufgeputschte, hohle Wachheit.
Sie war beschäftigt. Sie empfing ihn mit einem zerstreuten Lächeln und einem Kuss auf beide Wangen, dann unterhielten sie sich mit unbeholfener Förmlichkeit in ihrem vollgestopften Büro. Der schwere alte Schreibtisch – ein antikes Stück aus Kolonialzeiten, vermutete er – beeindruckte ihn, die lackierte dunkle Wuchtigkeit, und vor Enttäuschung verkleinerte er seinen neuen Ruhm und Einfluss vor sich selbst und fantasierte sich zu Becs Seelenzustand ein passendes Bauwerk, riesengroß, aristokratisch und befestigt, in das er sich zufällig verirrt hatte und wo man ihm bestimmt rasch auf die Schliche kam. Ihre ganze neoimperiale Wohn- und Arbeitssituation in Afrika, großes Projekt, Forscherteam, einheimische Mitarbeiter, berühmter und einflussreicher Bruder in England, frühere Liebhaber, und sie, die Herrin im Innern, über alles erhaben. Batini kam, um ihm sein Zimmer zu zeigen. Bec sagte, sie sei um vier fertig, und er zog mit seinem Gepäck ab, um zu schlafen.
Bec hatte gehofft, bis zu Alex’ Ankunft mit dem Impfstofftest fertig zu sein; sie hatte sich auf ihn gefreut. Dann aber waren doch Dörfer übrig, wo noch Fragebögen auszufüllen und Wiederholungsimpfungen zu machen waren. Als er in ihrem Büro erschien, blass und müde von der Reise, und seine langen Beine ausstreckte, zitterten ihr die Nerven, wenn es denn die Nerven waren. Der schlaflose Flug hatte ihm die zappelige Unruhe genommen, und sie sah einen matten, vergrübelten Mann, gepeinigt von zu viel emotionaler Algebra. Er sah sie mit einer völlig unverhohlenen Direktheit an, fand sie, als ob sie die Natur persönlich wäre.
Auf der Fahrt zu den Dörfern fiel es Bec schwer, sich zu konzentrieren, obwohl sie eigentlich vorgehabt hatte, über die Daten im Laptop nachzudenken. Notwendige Pflichten hatte sie nach Möglichkeit auf frühere und spätere Tage verlegt und es so eingerichtet, dass die anderen Forscher in den Distrikten unterwegs waren, damit sie und Alex einen Abend für sich hatten. Für die übrige Zeit hatte sie Prospekte über Safaris und den Kilimandscharo für ihn gesammelt. Warum, fragte sie sich, hatte sie ihm das nicht erzählt? Und warum war sie im Büro hinter dem hässlichen alten Schreibtisch stehen geblieben, als ob sie ein Vorstellungsgespräch mit ihm führte?
Er musste geglaubt haben, sie hätte Angst vor ihm oder wollte ihre Autorität demonstrieren. Sie wusste, dass er nicht zu vergnüglichen Wanderungen und Abendessen gekommen war oder um Bilder von Zebras auf seine Facebook-Seite zu stellen, die er nie anrührte. Sie suchte nach der Erinnerung, die der völlig ausgelaugte, hartnäckig sein Ziel verfolgende Alex in ihr anstieß. An ihren Vater, wie er am Ende eines Arbeitstages die Schlucht von heruntergefallenen Ästen geräumt hatte? Oder an Ritchie? An Joel, wie er auf
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