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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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fing an, ihn zu ärgern, dass seine Schwester im Elfenbeinturm ihrer Heiligkeit als Malaria-Heilerin nie erfahren würde, wie standhaft er zu ihr gehalten hatte und was für ein schreckliches Schicksal ihm als Lohn für seine Standhaftigkeit von ihrem Exgeliebten drohte. Es war ungerecht, dass er, Ritchie, so leiden musste, wo es doch Bec war, die Val damit aufgebracht hatte, dass sie erst seinen Heiratsantrag annahm und es sich dann anders überlegte. Sie würde das Opfer nie zu würdigen wissen, das ihr Bruder brachte, um sie vor den Folgen ihres eigenen Egoismus zu schützen. Dies war die Frau, die sich als oberste Hüterin des Andenkens ihres Vaters präsentierte, und dabei wollte sie, dass die Welt ihn vergaß, und er wollte, dass die Welt sich erinnerte!
    Dann sei es eben so, dachte Ritchie. Wenn es ihm aufgetragen war, einzusehen, dass es nobler war, mit O’Donabháin Frieden zu schließen, sei’s drum. Wenn er das heimliche Opfer bringen musste, seine Schwester nicht zu verraten, von ihm aus. Gott mochte sein Zeuge sein: Er handelte richtig. Und wenn er schon ein Märtyrer sein musste, warum sollte er es sich nicht noch schwerer machen? Warum sollte er Val nicht helfen, einen Umstand auszuräumen, der Becs öffentlicher Entlarvung hinderlich war: ihre mangelnde Berühmtheit? Als Ritchie mitgekriegt hatte, dass Alex und Bec sich gerade in dem Moment zu verlieben schienen, da Alex durch seine Forschungsarbeit einen Hauch von Berühmtheit erlangte, hatte er instinktiv versucht, seine Schwester und seinen Freund voneinander fernzuhalten, dafür zu sorgen, dass Bec sicher und unbekannt blieb. Doch er, Ritchie, würde der Märtyrer für seine Schwester sein, deshalb war das gar nicht mehr nötig. Er würde ihr und Alex helfen, zusammen zu sein. Er würde sie unterstützen. Er würde bei ihrer Hochzeit singen, wenn sie wollten. Wenn Bec weder zu gut noch zu unbekannt war, um Gegenstand eines großen Skandals zu sein, dann stand zwischen ihr und der Schande nur noch ihr Märtyrer-Bruder, der seine Güte verbergen und unerkannt bleiben würde, der heimliche Philanthrop, der Wohltäter der ewig Undankbaren. Er würde sie nicht verraten, aber nicht weil er nicht konnte, sondern weil er nicht wollte.
    Ritchie hatte sich durchaus nicht mit Entlarvung, Gefängnis, Schande und Scheidung abgefunden, aber er hatte Angst, Hilfe bei den Anwälten und Mittelsleuten im Showbusiness zu suchen, die seine Probleme eventuell beheben konnten. Er sah sich nach einem anderen Opfer um, einem Feind mit einem Geheimnis, den er ans Messer liefern konnte. Er wusste, dass Lazz hinter der Bühne kokste, wenn die Proben für Teen Makeover liefen und »gefährdete junge Menschen « nur wenige Meter entfernt waren, aber Lazz war kein Feind. Trotz seiner Kälte war Lazz ein Star, ein goldener Stern an Ritchies Himmel, und Ritchie brachte es nicht über sich, die empfindlichen Zacken dieses Sterns abzubrechen.
    Die letzte Hoffnung, die ihm blieb, war der Film über den Mörder seines Vaters. Ritchie spürte, dass es eine kryptische Art gab, Dunkelheit zu verbuchen, dass die Öffentlichkeit bereit war, eine gewisse Aufrechnung und Aufrundung zwischen den Spalten zu tolerieren, wenn es um Sünde und Leiden ging. Ein berühmter Filmregisseur zum Beispiel konnte Posten aus der Spalte »Leiden« – Eltern in Auschwitz, Frau ermordet – nehmen und sie in die Spalte »Sünden« übertragen – eingestandene Vergewaltigung einer Dreizehnjährigen. Das war akzeptabel, weil die Posten auf mysteriöse Weise offenbar alle unter denselben Oberbegriff »Dunkelheit« fielen, etwas, das verdaulicher und allgemeinmenschlicher war als Niedertracht, Unerschütterlichkeit, Bosheit oder Selbstbeherrschung. Unterm Strich wurde keine Dunkelheit eingenommen und keine Dunkelheit ausgegeben: Es gab nur Dunkelheit. Ritchie glaubte, dass sein Interview mit dem Killer seines Vaters eine Art ausgleichende Dunkelheit über ihn breiten würde, die sein Fehlverhalten bei Nicole in den Augen der Gesellschaft ziemlicher und verzeihlicher machte, und zwar auf jeden Fall, ob die Gesellschaft nun von dem Film berührt oder abgestoßen wurde.
    Nichts von alledem würde seine Familie zusammenhalten, wenn die Sache herauskam, und das lastete schwer auf Ritchies Herz und nötigte ihn weiter, zur Flasche zu greifen.
    39
    Als Alex aus Lancashire zurückkam, fuhr er ins Institut, öffnete mit seinem Passwort die Einfriergeräte im Keller und entnahm einen Beutel mit den genetisch

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