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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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Velourssessel, die Hände an den Seiten. Auf dem Couchtisch stand ein leerer Glasaschenbecher, daneben ein halbes Dutzend dünner Taschenbücher auf einem Stapel, mit bunten Klebezetteln markiert. Durch den Kontrast zwischen der Schummerigkeit des Zimmers und der Helligkeit des grauen Tageslichts, das durch die Panoramafenster hinter O’Donabháin einfiel, war sein Gesicht schwer zu erkennen.
    Mike stellte sie einander vor und schaute dabei mit zunehmender Nervosität von einem zum anderen; sie standen unbewegt und starren Blicks da. Als er fertig war, wartete er.
    »Nehmen Sie Platz, Mr Shepherd«, sagte O’Donabháin mit einer Geste auf ein Sofa mit Fransendecke gegenüber dem Feuer. Ritchie setzte sich an das von O’Donabháin fernste Ende des Sofas. Er hatte immer noch seinen Regenmantel an. O’Donabháin nahm eine Zeitung, die Ritchie am Druck nicht erkannte, vom Sessel, warf sie auf den Boden und setzte sich.
    »Kann ich euch beide jetzt allein lassen?«, sagte Mike. Ritchie und O’Donabháin sahen ihn an, und O’Donabháin nickte. Mike ging hinaus, und als er die Zimmertür zumachte, schabte der Zugluftstopper über die synthetischen Fasern des türkisblauen Teppichbodens. Das Schloss schnappte zu.
    Ritchie und O’Donabháin saßen lange da, ohne etwas zu sagen. Ritchie betrachtete O’Donabháin. O’Donabháin blickte ins Feuer. Ritchies Augen hatten sich an das Licht gewöhnt. O’Donabháin trug ein zu enges, graubraunes altes Polohemd mit rotem Kragen.
    Er hob den Kopf und blickte Ritchie direkt an. »Wie kann ich Ihnen helfen, Mr Shepherd?«, sagte er. Seine Stimme war fest. Er hält sich für einen Priester, einen Richter, dachte Ritchie. Keine Spur von der Bescheidenheit, die Ritchie von O’Donabháin erwartet hatte, echt oder gespielt. Keine Traurigkeit; kein Gewissen. Ritchie starrte auf O’Donabháins feiste Hände und dicke Unterarme, nackt und mit weißen Flaumkringeln behaart, immer noch kräftig, und dachte daran, wie sein Vater gegrinst hatte, wenn er Ritchie mit dem Anfang einer Geschichte hinhielt und Ritchie schrie: »Komm schon, erzähl!«, und er dachte an das gerichtsmedizinische Gutachten und wusste, dass dies die Hände waren, die seinen Vater nackt ausgezogen hatten, dies die Muskeln, die das Seil, mit dem er an den Stuhl gefesselt war, so fest gezogen hatten, dass sein Vater davon blutete. Dies war die Hand, die sich zur Faust geballt und seinem Vater zwei Dutzend Mal an den Kopf geboxt, den Kiefer gebrochen, fünf Zähne ausgeschlagen und eine Schädelfraktur beigebracht hatte, als er gefesselt, nackt und wehrlos gewesen war. »Komm schon, spuck aus!« Es ist dieselbe Hand. Es ist derselbe Mann, dachte Ritchie. Gefängnis, Gedichte, Alter, es hatte alles nichts zu bedeuten. Es ist derselbe Mann. Dies waren die Arme, die seinen Vater gefoltert hatten, und dies waren die Finger, die ihm eine Pistole an die Schläfe gehalten und den Abzug gedrückt und ihn erschossen hatten.
    Ritchie fühlte, wie Hass auf O’Donabháin sich in ihm ausbreitete, ihn aufblähte. Sein Hass auf O’Donabháin, sein Wunsch, ihn buchstäblich zerschmettert zu sehen, die Knochen zerbrochen und das Fleisch zerquetscht und die Überbleibsel den Schweinen zum Fraß vorgeworfen, wurde so stark, dass er kaum noch Luft bekam. Er stand auf und kehrte dem Mann, dessentwegen er nach Irland gekommen war, den Rücken zu, ballte die Fäuste.
    »Ist Ihnen nicht gut, Mr Shepherd?«, sagte O’Donabháin.
    »Ich dachte nicht, dass ich Sie so sehr hassen würde«, sagte Ritchie langsam, ohne sich umzudrehen.
    »Ich habe mich in der Tat gefragt, ob Sie mit der Absicht herkommen, mich zu töten«, sagte O’Donabháin. »Und ich dachte: ›Warum nicht? Soll’s der Junge doch probieren, wenn er will.‹«
    Ritchie drehte sich schwer atmend um. Dass O’Donabháin zu ihm aufsah, erleichterte ihn irgendwie. Vielleicht waren O’Donabháins Augen ein bisschen weiter geworden.
    »Natürlich könnten Sie mich dann nicht mehr in Ihrem Film bringen«, sagte O’Donabháin.
    »Hätten Sie sich gewehrt?«, sagte Ritchie.
    »Wenn Sie mich zu töten versucht hätten? Oh, sicher hätte ich mich gewehrt. Ich möchte doch nicht, dass Sie ins Kittchen kommen, weil Sie mich umgelegt haben.«
    Ritchie setzte sich hin, überlegte, begann zu sprechen, zögerte und sprach weiter.
    »Ich hab gedacht, Sie wären anders«, sagte er.
    »Wie denn?«
    »Sie wirken nicht bestraft.«
    »Geschlagen, meinen Sie?«
    »Ich meine, was ich gesagt habe.

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