Liebe und andere Parasiten
selbst erst richtig, was man getan hat, wenn man weiß, dass alle andern es wissen. Als ich damals zum Zeitungskiosk ging, wusste ich, dass ich zwei Tage zuvor jemand zusammengeschlagen und erledigt hatte. Aber erst als ich die Schlagzeilen in den Zeitungen sah, begriff ich, was ich eigentlich getan hatte.«
»Ich weiß, was Sie meinen«, sagte Ritchie.
»Tatsächlich?«, sagte Colum und sah Ritchie verwundert an.
Ritchie wurde rot und leckte sich die Lippen. »Ich möchte gern diesen Film machen«, sagte er langsam. »Ich kann Ihnen natürlich kein Geld bieten.« Er verstand jetzt, was er in Colum gesehen hatte. »Ich kann Ihnen Vergebung bieten.«
»Meinen Sie, die will ich?«, sagte Colum.
»Ja«, sagte Ritchie. Je mehr sich das Wort »Vergebung« in seinem Kopf festsetzte, umso leichter wurde ihm.
»Meinen Sie, Sie sind befugt, mir zu vergeben?«
»Wenn ich nicht, wer dann?«
»Ihr Vater kann es nicht mehr tun«, sagte Colum. »Bleibt nur noch Gott.« Er legte den Kopf schief und schaute auf den Teppich. »Was für ein tapferer Idiot Ihr Vater doch war. Er hat uns nicht einmal gebeten, ihn nicht zu töten, und wissen Sie«, er sah zu Ritchie auf, und wieder hatte Ritchie das unangenehme Gefühl, dass Colum und sein Vater sich vertraut gewesen waren, »wenn er uns nur den Namen gegeben hätte, den wir haben wollten, hätten wir ihn vielleicht laufen lassen. Er hat unsere Gesichter nicht zu sehen bekommen.«
»Wären Sie bereit, vor laufender Kamera so mit mir zu reden?«, sagte Ritchie.
»Wir haben über Vergebung gesprochen«, sagte Colum.
»Das ist das, was ich Ihnen bieten kann.«
»Ah, aber das sollte kein Tauschhandel sein, nicht wahr? Würden Sie mir nur vergeben, wenn ich bei Ihrem Film mitmache?«
Colum unter allen Umständen zu vergeben kam Ritchie wie kühles Wasser in der Wüste vor. »Doch«, sagte er und empfand dabei eine Genugtuung, die ihn erstaunte. Er stand auf, trat vor Colum und hielt ihm die Hand hin. »Ich vergebe Ihnen«, sagte er. »Ich vergebe Ihnen, Colum.«
Colum erhob sich nicht, aber er legte seine Hand in die Ritchies. Ritchie drückte und schüttelte sie. Ich tue es wirklich, dachte er. Das ist real. Ich vergebe dem Mörder meines Vaters. Ich tue etwas Gutes. Ich halte die Hand, die meinen Vater getötet hat.
Colum ließ los, und Ritchie setzte sich dicht neben ihn auf die Sofalehne. »Der Film wäre anderthalb Stunden lang«, sagte er. »Sie und ich im Gespräch; Sie im Interview; ich im Interview; Archivbilder. Wir müssten diese erste Begegnung nachstellen.«
»Was ist mit Ihrer Mutter?«, sagte Colum.
»Was soll mit ihr sein?«
»Was ist mit Ihrer Schwester?«
»Was soll mit ihr sein?«
»Wir haben ihm nichts genommen als seine Waffe«, sagte Colum. »Ihrem Vater. Wir haben weder seine Brieftasche genommen noch den Inhalt. Wir haben einen Blick hineingeworfen. Ein Bild von Ihnen vieren war darin, der ganzen Familie. Ich war überrascht, es dort zu finden, wo er doch undercover war. Es wäre nicht richtig, das ohne die Frau und Tochter Ihres Vaters zu tun.«
»Vielleicht sind die zwei noch nicht so weit.«
»Es macht mir nichts aus zu warten.«
»Vielleicht werden sie Ihnen nie vergeben.«
»Dann wird es keinen Film geben.«
Ritchie hob den Daumen und nagte am Nagel.
»Was war das Letzte, was er gesagt hat?«, fragte er.
»Er sagte – als er wusste, was gleich kommen würde, sagte er: ›Sagt ihnen, dass ich am Schluss keine Angst hatte.‹«
»Und dann haben Sie ihn erschossen?« Plötzlich quollen Tränen aus Ritchies Augen.
»Ja.«
»Was haben Sie gesagt, bevor Sie ihn erschossen haben?«
»Ich habe gar nichts gesagt. Ich habe ihm einfach die Waffe an den Kopf gesetzt und ihn erschossen.«
43
Auf der Veranda vor der Küche von Becs Villa hackte Batini am späten Nachmittag Zwiebeln und Auberginen für das Abendessen. Sie hatte die Fußböden gewischt, die Betten neu bezogen und die schmutzige Bettwäsche dem Wäschereidienst mitgegeben und dann die Messer geschliffen. Im Vorhof um die Ecke hörte sie einen Hund winselnd gähnen und das Haupttor zum Anwesen zuklappen. Sie erkannte die über den Hof schlurfenden Schritte ihrer Schwester, und Zuri kam um die Ecke und begrüßte sie.
»Koch weiter«, sagte Zuri auf Swahili mit einer scheuchenden Bewegung zu Batini, als die Begrüßung erledigt war. »Ich mache uns Tee. Ich konnte nicht anrufen, mein Guthaben ist alle. Was kochst du?«
»Curry.«
»Wo hast du das gelernt?«
»Von der früheren
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