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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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kann ich jetzt noch für einen Schaden anrichten? In meiner Grabstelle haben sich die Würmer schon die Lätzchen vorgebunden.«
    »Ich habe dich ewig nicht mehr gesehen«, sagte Lettie zu Harry. Sie drehte ihr Kind so, dass sein Kopf auf ihrer Schulter lag, von seinem Großvater abgewandt.
    »Das muss der kleine Gideon sein«, sagte Harry. »Lass mich mal einen Blick auf den Schlingel werfen.«
    »Ach, dem gefällt’s ganz gut hier oben. Wie geht es dir?«
    Harry lachte keuchend. »Bisschen schlechter als mit Windpocken.«
    »Es tut mir leid, dass du so leiden musst.«
    »Das ist nett von dir.«
    Lettie sprach langsam und vorsichtig, mit flatternder Stimme. »Ich bete jeden Abend für dich. Ich wünsche dir, dass du wieder gesund wirst. Du nutzt Matthews Liebe aus. Du kannst dir nicht einfach die Enkel nehmen und die Eltern zurückstoßen.«
    »Dass ich den Kindern wünsche, die Vorstellung von Gott als einen wunderbaren Mythos zu begreifen, ist nicht der Grund, weshalb du mich hasst.«
    »Ich hasse dich überhaupt nicht.«
    »Du hasst mich, weil ich euch nicht das Haus vermache. Du würdest es irgendwie ermöglichen, dass ich Zeit mit den Kindern verbringe, wenn ich mein Testament ändern würde.«
    »Was du nicht tun wirst.«
    »Meine Liebe, es ist mein Eigentum.«
    Matthew kam herein und umarmte vorgebeugt seinen Vater.
    »Ich wollte Lettie gerade fragen, ob ich meinen neuen Enkel einmal halten dürfte«, sagte Harry.
    Matthew sah seine Frau an. »Ich wüsste nicht, warum nicht«, sagte er.
    Lettie legte Gideon in die zitternden Arme des alten Mannes. Aber statt loszulassen, ließ sie sich lieber näher an ihren Schwiegervater heranziehen, sodass sie immer noch Gideons winziges Köpfchen hielt und seine Füße berührte, als Harry den Kleinen vor der Brust wiegte und ihm ins Gesicht sah. Augen und ein vages Zappeln, mehr war vor lauter schützenden Fingern von dem Kind nicht zu erkennen. Liebkost, drangsaliert und verwirrt begann Gideon zu schreien, und Lettie nahm ihn und schuckelte ihn und schlurfte murmelnd davon.
    »Es war schwer, sie zum Mitkommen zu bewegen«, sagte Matthew.
    »Wir haben uns ganz gut vertragen«, sagte Harry.
    Punkt zwei am Nachmittag waren alle versammelt außer Lewis. Bec erbot sich, ihn holen zu gehen, und sie bekam den Weg ins Dachgeschoss gezeigt.
    Als sie die Füße auf die oberen Sprossen der Leiter setzte und den Körper durch die Luke schob, roch sie Chemikalien und hörte das Surren eines Abzugsgebläses. Lewis stand in Hemd und Krawatte hinter einer Werkbank mit Reihen von Fläschchen und Becken. Er hatte die Ärmel aufgekrempelt und inspizierte ein Foto mit der Lupe. Vor ihm befand sich ein Stapel Abzüge, und weitere lagen verstreut auf einer mit grünem Stoff bespannten und flach gestellten Staffelei. Die Oberlichter waren verdunkelt und die Werkbank von einem einzelnen grellen Lichtkegel von der Decke beleuchtet. In der Dunkelheit an den Rändern des Raumes konnte Bec eine Boxkamera auf einem Dreifuß und Regale mit Alben in der gleichen roten Bindung ausmachen.
    »Zeit«, sagte Lewis. Er ließ die Lupe sinken, legte den Abzug hin und sah Bec an. »Zeit, zum Essen zu kommen, das wolltest du mir doch sagen.«
    Bec stieg von der Leiter und trat mit den Händen in den Taschen an die Werkbank. »Dein Labor riecht anders als meines«, sagte sie.
    Der Abzug, den Lewis so ausgiebig betrachtet hatte, sah sie, war ein Farbfoto seines eigenen Gesichts, auf dem jede Falte, jedes Haar, jede Runzel und jede Pore in hoher Auflösung genau zu erkennen war.
    »Von heute Morgen«, sagte er. Er durchkämmte den Stapel der Abzüge und zog einen heraus. »Von vor einer Woche. Schau.« Er deutete auf eine Falte in seiner Wange. »Siehst du, dass sie tiefer geworden ist, in nur einer Woche?«
    Bec betrachtete die beiden Fotos eingehend, konnte aber keinen Unterschied erkennen.
    »Schau es dir dadurch an«, sagte Lewis und reichte ihr die Lupe.
    »O ja«, sagte Bec, die die Falten immer noch nicht unterscheiden konnte. »Jetzt sehe ich es. Bemerkenswert.« Sie blickte über die Schulter und sah, dass auf dem Rücken der roten Bände in den Regalen Daten in Gold aufgeprägt waren.
    »Darf ich?«, fragte sie. Sie zog eines der Alben mit der Aufschrift »April–Juni 1997« heraus und blätterte sich durch Seiten mit Fotos von Lewis’ Gesicht, alle im selben Abstand vom Objektiv aufgenommen, im selben Licht. Im Verfliegen der Wochen verzog sich die Haut, aber sie sah ihn nicht altern.
    »Wie weit

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