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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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weiter.«
    Leah heulte auf und lief um den Tisch in die Arme ihrer Mutter.
    »Da spielt sich ein richtiges Schisma ab«, sagte Harry.
    »Bleib bei dem, was du verstehst, Dad«, sagte Matthew.
    Lettie sagte: »Warum willst du nur, dass die Familie deines Sohnes unglücklich ist?«
    »Ich beobachte lediglich«, sagte Harry. »Es ist faszinierend.«
    »Wer keine Liebe schenkt, bekommt auch keine Liebe und endet allein«, sagte Lettie.
    Einer nach dem anderen nahmen sie wahr, dass hinter Leahs leisem Weinen ein anderes Geräusch, ähnlich, aber stärker, anschwoll, ein Schniefen und Schluchzen. Etwas Außerordentliches geschah mit Becs Gesicht; ihre Augen waren zusammengekniffen und verquollen, und ihr Mund war heruntergezogen wie bei einer Maske in einer griechischen Tragödie. Es ging sehr schnell; ihr ganzes Gesicht glänzte von Tränen. Während der Tisch verstummte, wurde Bec immer lauter. Ihre Schultern zuckten, und sie fing an, in großen Zügen die Luft einzuatmen und sie mit Schmerzensschreien auszustoßen, sodass den Kindern das Blut aus dem Gesicht wich und die anderen auf ihren Stühlen erstarrten.
    Alex half Bec auf die Beine und brachte sie aufs Zimmer. Sie weinte eine Stunde lang, erst auf dem Bett sitzend, die Knie an die Brust gepresst, dann liegend und zusammengekrümmt wie ein Embryo, während die Schmerzenslaute abebbten. Alex hielt sie, doch anfangs war sie hart, steif; es war, als ob sie ihn gar nicht wahrnähme. Je leiser ihr Weinen wurde, umso weicher wurde sie, bis sie sich schließlich an ihn schmiegte.
    »Er stirbt«, sagte sie.
    »Er lebt in Laboren überall auf der Welt. Das ist dein Werk.«
    »Er stirbt in mir.«
    Alex versuchte, seinen Arm, der ihm eingeschlafen war, unter ihr herauszuziehen, und sie sagte: »Habe ich dich gequetscht?«
    Während Alex den Arm schüttelte, um das Blut wieder zum Fließen zu bringen, versicherte er ihr, er werde ihn weiter benutzen können, und Bec gab einen leisen Laut von sich, vielleicht ein letztes Schluchzen, vielleicht ein Lachen.
    »Hält die Frau fest, damit sie nicht weggeschwemmt wird«, sagte sie.
    »Kam mir vor wie eine Monsterwelle.«
    »Aus heiterem Himmel!«, sagte Bec in geradezu unheimlichem Plauderton, und Alex hatte das Gefühl, dass sie wirklich an Deck eines Schiffes gewesen waren und dass er seine Liebste umklammert gehalten hatte, damit das Wasser sie nicht packte und mitriss, und dass jetzt alles gut war.
    Bec hockte sich im Schneidersitz auf das Bett, musterte ihre Finger und zupfte mit äußerster Konzentration an ihrer Nagelhaut, als gäbe es dort lose Hautfetzen, die sich einfach nicht abreißen ließen. »Jetzt weißt du, wie ich war, als mein Vater starb.«
    Alex sah ihr beim Zupfen zu. Die Haare hingen ihr ins Gesicht. »Hast du es deswegen getan?«, sagte er.
    Bec blickte auf, und Alex schien es, als taxierte sie ihn aus großer Ferne.
    »Ich wollte tapfer sein«, sagte Bec.
    »Das warst du«, sagte Alex. »Du bist das Risiko eingegangen zu beweisen, dass du mit diesen Parasiten leben kannst, und es hat nicht geklappt. Das ist keine Schande.«
    »Das ist nicht tapfer«, sagte Bec. »Tapfer ist, wenn du dich auf die mechanistische Seite des Lebens einlässt, ohne der Idee abzuschwören, dass es nicht friss oder stirb sein muss, töten oder getötet werden, ficken oder verrecken.«
    »Reden wir über Parasiten oder Menschen?«
    »Beides.«
    »Aha«, sagte Alex kleinlaut. Es warf ein schlechtes Licht auf ihn, musste er zugeben, dass solche Gedanken bei Bec ihn erstaunten.
    »Macht dir das niemals Angst?«, fragte sie.
    »Eine Maschine, die sich Erbarmen vorstellen kann, ist keine Maschine.«
    »Mir macht es Angst. Eben das war die Tapferkeit. Mit erbarmungslosen kleinen Wesen sich den Lebensraum zu teilen und sie zu akzeptieren. Das ist jetzt vorbei.«
    »Du bist immer noch voller Bakterien.«
    Bec lächelte, zog die Nase hoch und streichelte seine Wange. »Du bist wahnsinnig taktvoll.«
    Alex sagte: »Es gibt nur eine Art von Wesen, mit denen du den Lebensraum teilen kannst und die von dir lernen können, was Erbarmen ist.«
    Viel später, als Alex unter der Dusche war, nahm sie die Packung mit Antibabypillen, drückte die Tabletten aus dem Blister und legte sie unten auf dem Fensterrahmen in einer gleichmäßigen Reihe aus.
    Als Alex mit einem Handtuch um die Taille aus dem Bad kam, kühlte die kalte Luft sofort die Wassertropfen auf seiner Brust ab. Bec stand mit verschränkten Armen am offenen Fenster. Sie beobachtete ihn, wie

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