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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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geht das zurück?«, sagte sie.
    »Ungefähr fünfzig Jahre«, sagte Lewis. »Ein Foto pro Tag. Ich werde einen Aufsatz schreiben, aber ich möchte noch etwas länger daran arbeiten.« Er nahm sein Jackett von einer Stuhllehne und schlüpfte hinein.
    »Du siehst elegant aus«, sagte Bec.
    Lewis nahm ihr das Album aus der Hand und blätterte darin herum. »Es geht nicht nur in eine Richtung«, sagte er. »Hier.« Er zeigte ihr zwei aufeinanderfolgende Seiten. »Man kann sehen, dass ich von Dienstag zu Mittwoch eigentlich jünger geworden bin.«
    »Mmm«, sagte Bec. Sie konnte es nicht sehen.
    »Im Ganzen bleibt die Richtung dieselbe«, sagte Lewis. Er klappte den Band zu, blickte verlegen, dann schien er Mut zu schöpfen und beugte den Kopf näher an Bec heran. »Ich wollte es sehen. Ich hätte auch fotografieren können, wie Bäume wachsen, aber es ist nicht dasselbe.«
    »Oder deine Kinder«, sagte Bec.
    »Das wäre nicht fair gewesen«, sagte Lewis ernst. »Es ist schon schwer genug, den Unterschied zu verkraften zwischen dem Ich, das man selbst kennt, und dem Ich, das die anderen sehen. Ich will Alex oder Dougie nicht ihr drittes Ich zeigen, das Ich, das die Zeit sieht. Die Zeit und niemand sonst.«
    Er blickte Bec schräg von unten an. In dem Moment ähnelte er Harry. »Alex ist mehr wie seine Mutter, weißt du.«
    »Tatsächlich? Er hat auch seine Welten.«
    »Harry hat genauso viel für seine Erziehung getan wie ich.«
    »Du hast mehr Zeit mit Dougie verbracht?«
    »Ich habe mehr Zeit in der Praxis verbracht«, sagte Lewis. »Mehr Zeit hier im Dachgeschoss.«
    48
    Bei dem Gedanken an Essen wurde Harry schlecht. Ein Schluck Wein brannte sich durch ihn hindurch. Er merkte, wie Lewis sehnsüchtig darauf wartete, dass die quälende Geselligkeit ein Ende hatte und er wieder die Leiter zu seinem Atelier hinaufsteigen konnte. Nachdem Lewis die Geschenke und Karten geöffnet, sich bei allen bedankt und ihr Lächeln mit seinem Glas pariert hatte, brachte Harry einen Toast auf seinen Bruder aus, doch er war nicht mit dem Herzen dabei. Er verhaspelte sich und schloss murmelnd. Die Schweigephasen wurden länger. Die Kinder beugten sich über ihr Essen, und wenn Harry, Bec oder Alex das Wort an sie richteten, sahen sie ihre Eltern an. Lettie schüttelte dann den Kopf; Matthew flüsterte seiner Frau ins Ohr und nickte, und die Kinder reagierten mit verlegenen Worten.
    Rose rümpfte die Nase, kaum dass das Hauptgericht, ein gebratenes Spanferkel, seinen Weg vom Backofen zum Tisch antrat. Ihr Großonkel attackierte das Tier mit dem Tranchiermesser, sodass die knusprige Haut beim Durchstoßen ein Geräusch wie brechendes Eis machte, und sie schob ihren Stuhl zurück und drehte den Körper zur Seite. Als Lewis ihr Fleisch auf den Teller legen wollte, schüttelte sie den Kopf, hob die Hände und sagte, sie dürfe kein Schweinefleisch essen.
    »Doch, darfst du«, sagte Peter mit vollem Mund.
    »Wir scheinen hier unterschiedliche Lehrmeinungen zu haben«, sagte Harry.
    »Rose, du musst es nicht essen, wenn du nicht möchtest«, sagte Matthew mit harter Stimme.
    »Was ich möchte, ist nicht der Punkt«, sagte Rose. »Der Punkt ist, dass ihr alle in die Hölle kommt und ich nicht.«
    Leah spuckte einen Klumpen halb gekautes Schweinefleisch aus. »Ich will nicht in die Hölle«, sagte sie und fing leise zu weinen an.
    »Du liebe Güte«, sagte Maureen. »Ist das denn so schlimm?«
    »Es steht in der Bibel«, sagte Rose triumphierend.
    »Du kennst die Heilige Schrift nicht besser als dein Vater«, sagte Lettie.
    »Ich kann genauso gut lesen wie er«, sagte Rose.
    »Touché!«, sagte Harry.
    »Wir unterhalten uns später darüber«, sagte Matthew zu seiner Tochter. »Jesus sagt, dass wir essen können, was wir wollen.«
    »Aber im Alten Testament steht es anders. Man kann nicht das eine glauben und das andere nicht.«
    »Komme ich jetzt in die Hölle, Mum?«, sagte Leah. »Ich habe Schweinefleisch gegessen.«
    »Natürlich nicht, mein Schatz«, sagte Lettie. »Christus hat uns ein neues Gesetz gegeben.«
    »Ich komme nicht in die Hölle«, sagte Peter, während er sich den Mund mit Schweinefleisch vollstopfte und seiner Schwester demonstrativ ins Gesicht kaute.
    Sie zuckte zurück. »Kommst du doch«, sagte sie. »Du wirst in alle Ewigkeit in der Hölle braten, und jeden Tag werden Dämonen dich zerschneiden und dich langsam auffressen, und am nächsten Tag wirst du wieder ganz sein, und dann fängt es von vorne an und geht ewig so

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