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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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Gespräch entspann sich, bei dem er sie seinen Namen rufen hörte, aber sie nicht verstand, wie er ihr sagte, dass jedes Rütteln an der Tür war, als würden ihm Nägel in den Rücken getrieben. Er hörte sie telefonieren; sie ging weg. Er glitt in einen Traum, in dem sein Körper, an Hand- und Fußgelenken an eine hohe Stange gebunden, das Banner einer Armee war, das im starken Wind flatterte, während das Heer eine Serpentinenstraße bergauf zu einer fernen Stadt marschierte.
    Er erwachte von Klopfen und den Stimmen von Matthew und Alex, die auf der anderen Seite der Tür seinen Namen riefen und beratschlagten, ob sie sie aufbrechen sollten. »Nicht«, sagte er, aber aus seiner Kehle kam nur ein ganz schwaches Krächzen. Ihm war, als ginge es mit ihm zu Ende. Auf jeden Fall fiel es ihm schwer, seinen Kopf zu halten. Das war der Moment, in dem er sich vorstellen konnte, es zu bereuen, wie er seinen Sohn behandelt hatte, der doch seit Lewis’ Geburtstag ihm gegenüber nur Güte, Geduld und Toleranz an den Tag gelegt hatte, und sich zu wünschen, er hätte seinerseits mehr Gegenliebe aufgebracht; zu bedauern, dass er ihm und seinen Kindern nicht das Haus vererbt hatte.
    Jedes Mitwissen eines anderen um die Tapferkeit, die er bewies, indem er dem Tod allein gegenübertrat, bedeutete, dass er nicht allein war und somit weniger tapfer. Das war der einzig wahre Mut, dachte Harry, dem Tod allein gegenüberzutreten und nach niemandem zu schreien, nicht zu winseln und nicht zu zagen, sein Menschsein zu bejahen, indem er akzeptierte, dass er von einem Moment zum andern von etwas in nichts überging.
    Doch er hörte Gerasim an der Tür kratzen. Es war, als wollte sich das Dasein zu ihm durchwühlen, als scharrte sich das Leben durch das Holz, als fetzte es durch das schlaffe Fleisch auf seinen Rippen, um seinen Platz in ihm zu behaupten, als führte sein Hund eine rastlose, trompetende, sich überschlagende Kolonne all dessen an, woran er sich erinnerte und das er geliebt hatte. Und ihm ging wieder auf, dass ein Leben, dessen einziger Zeuge man selbst ist, gar kein Leben ist und dass, selbst wenn die einzige Liebesberührung, die du je empfängst, das erste Kosen der Mutter bei deiner Geburt ist, sie dennoch alle Mühen der Welt wert ist. Harry versuchte, sich zu bewegen, doch es war zu spät. Er konnte die Tür nicht mehr öffnen. Der Tod traf ihn nicht erschrocken, sondern beschäftigt an, völlig von dem Versuch beansprucht, seinen Entschluss zu ändern.

DRITTER TEIL

50
    Es fiel Ritchie leicht, darüber hinwegzusehen, dass ihm der Skandal mit der Zeit immer näher rückte, solange er nichts weiter tun musste, als das stumme Zählen des Kalenders zu ignorieren. Als die Schneeglöckchen sprossen und die Krokusse sich in buntem Gelb und Violett um die Wurzeln der Bäume scharten, gelang es ihm, sie nicht wahrzunehmen. Als die Narzissen kamen, war es schon schwieriger. Als er schließlich eines Morgens beim Aufwachen feststellte, dass es draußen schon hell war, dass ein Flaum von Knospen und Blüten die Konturen der Zweige verwischte und dass die Vögel ihm in sein weißes, unrasiertes Gesicht weniger sangen als jubilierten, musste er sich damit abfinden, dass es Frühling geworden war. In dem Moment, als er da im Schlafanzug in der Küchentür stand, schien es ihm, dass dieser Morgen der Anbruch eines einzigen langen, schrecklichen Tages war, der drei Monate dauerte, und dass mit dem Abend die ewige Schande kam.
    Der Wechsel der Jahreszeit fiel mit seiner Erkenntnis eines Wechsels zusammen, der seine Schwester betraf. Sie entwickelte sich zu einer schillernden Person der Öffentlichkeit, die sich dem Ruhm gefährlich näherte. Ende März erfuhr er von seiner Mutter, dass Bec und Alex umzogen. Stephanie war überrascht, dass er nichts davon wusste. Als sie ihm von dem großen Haus in Islington erzählte, das Alex’ Onkel, als er starb, dem Institut als Wohnsitz des amtierenden Leiters und seiner Familie hinterlassen hatte, sprich, Alex und Bec, da neidete Ritchie ihnen ihr Glück. Er fand es ungerecht, dass er wie der Teufel hatte arbeiten müssen, um sich sein Kapitalistenanwesen in Hampshire leisten zu können, während seine Schwester zu großstädtischem Luxus gelangte, ohne den Finger krumm zu machen. Ritchie setzte sich nicht mit Alex und Bec in Verbindung. Warum hätte er das tun sollen? Es war an ihnen, ihm ihre Neuigkeiten zu berichten. Sollte er vielleicht darum betteln? Wenn sie nicht mit ihm sprechen, ihm

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