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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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in den sicheren Grenzen beiderseitigen Wohlbefindens und Einvernehmens war alles erlaubt. Sie trank ihn, und er aß sie, und sie leckten sich gegenseitig die Finger ab, und sie ließ Grenzüberschreitungen zu, gestattete ihm Gewaltmomente, die sie sich noch von niemandem hatte bieten lassen. Wenn Alex ohne sie auf Reisen war, riss er die Laken vom Bett und legte sie vor dem Onanieren um und zwischen seine Beine, um sich die gemeinsam verbrachten Stunden besser vergegenwärtigen zu können. Eines Nachmittags um vier überkam Bec der Gedanke an Alex mit solcher Gewalt, dass ihr die Wangen brannten und sie gerade noch die Tür abschließen und die Jalousien herunterlassen konnte, bevor sie sich hinsetzte, die Beine spreizte und die Finger dazwischenschob. Sie rief ihn an und fragte, ob er nicht vielleicht früher nach Hause kommen könne, und ja, er konnte, und er kam. Aber schwanger war sie noch immer nicht.
    Früher hatte Bec sich vorgestellt, wie es sein mochte, schwanger zu sein, wie es sein mochte, ein Kind zu haben. Sie hatte sich niemals vorgestellt, wie es sein mochte, wenn man versuchte, schwanger zu werden . Anfangs erschienen ihr dies und das Delirium der Lust und die Gewissheit der Liebe untrennbar miteinander verflochten. Als die Monate vergingen und Alex’ Ungezwungenheit gezwungen wurde, trennten sich die Stränge, und die Unfasslichkeit der Grenze begann sie zu wurmen. Sie war es gewohnt, hart zu arbeiten, um die Hindernisse zu überwinden, die sie sich selbst gesetzt hatte, und auf einmal war die Lust ihre Arbeit, und an ein Überwinden war nicht zu denken. Es war, als wartete sie darauf, eine Reise anzutreten, ohne zu wissen, ob es überhaupt eine Reise geben oder wo diese sie, einmal angetreten, hinführen würde.
    Das Bewusstsein setzt seine eigenen Prioritäten, und obwohl Bec versuchte, die Balance zwischen Schwangerschaftshoffnung und auf neuer Stufe fortgeführter Forschungsarbeit zu halten, gewann der Kinderwunsch mehr Gewicht. Die Schaubilder und Beschreibungen der tätigen Malaria-Parasiten provozierten sie geradezu. Die Parasiten bufften an ein menschliches Blutkörperchen und hängten sich daran, dann rollten, ringelten, rammelten sie sich hinein und begannen sich zu teilen. Es war ein cleverer Trick, als ob sich eine Maus durch die Haut eines aufgeblasenen Luftballons schieben könnte, ohne ihn zum Platzen zu bringen. In einem einzigen Menschen konnten das mehrere Tausend Malaria-Merozoiten mehrere Tausend Mal machen. Doch Alex’ Millionen Gameten konnten ihre Köpfe kein einziges Mal in Becs Eizellen schieben. Dabei waren ihre Eizellen zwanzigmal so groß wie ein Blutkörperchen. Die medizinischen Datenbanken erfassten die humane Reproduktionswissenschaft genauso gründlich wie die Parasitologie; sie musste nur die Suchbegriffe ein wenig verändern, um mehr wissenschaftliche Aufsätze über menschliche Empfängnis zu finden, als sie in einem Dutzend Leben lesen konnte, und schuldbewusst erkannte sie, dass sie sich im Lauf der Wochen mehr Wissen über die Mysterien des menschlichen Fortpflanzungszyklus angeeignet hatte als über den Fortpflanzungszyklus der Parasiten, die sie eigentlich erforschen sollte.
    Alex’ Cousin Matthew, wusste Bec, glaubte nicht an die Evolution. Er glaubte nicht, dass Menschen und Affen gemeinsame Vorfahren hatten. Seiner Meinung nach hatte Gott die Welt vor ein paar Tausend Jahren erschaffen. Bec fragte sich, was Matthew sagen würde, wenn sie ihm erzählte, dass Menschen und Malaria-Parasiten von gemeinsamen Vorfahren vor Millionen von Generationen abstammten. Dass die verwandten Zellen getrennte Wege gegangen waren, um teils zu Tieren, teils zu Pflanzen, teils zu Schimmelpilzen und Schleim und Parasiten zu werden. »Mach nur, entwickel dich«, hatte der Vorfahre des Malaria-Parasiten zu Becs Vorfahr gesagt. »Ich hol dich dann später wieder ein.« Aber der Parasit war faul gewesen. Er war zu den Rotalgen gegangen und hatte gesagt: »Eure Gene gefallen mir. Kann ich sie haben? Dann kann ich mir dieses lästige Entwickeln sparen.« Und die Rotalgen sagten: »Okay.« Bec und die Parasiten waren sich fremd geworden. Nicht mehr richtig verwandt. Jetzt kämpfte eine Spezies gegen die andere.
    Bec passte es nicht, als Alex ihr erzählte, dass er gebeten worden war, eine Fernsehsendung über die Genetik des Alterns zu machen, und dass er Lust dazu hatte. Was mit seiner Arbeit sei, fragte sie ihn. Wollte er die hinschmeißen, wo er damit doch so weit gekommen war

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