Liebe und andere Parasiten
warfen ihn bäuchlings auf eine Matratze am Boden.
Gerbier sagte, sie müssten ihn mit einem Küchenhandtuch erdrosseln. Le Masque hielt sich die Ohren zu, weil er es nicht mit anhören konnte, wie der Verräter mit dem Knebel im Mund weinte. Gerbier fuhr Le Masque an, er habe doch selbst um härtere Einsätze gebeten, und jetzt bekomme er eben einen.
Wie recht sie doch beide hatten, dachte Ritchie mit einem erhebenden Gefühl süßer Traurigkeit in der Brust und einem Kribbeln in den Augen. Wie tragisch, dass dieser edle junge Mann an dieser schrecklichen Tat beteiligt sein musste, und nur richtig, dass Gerbier ihn daran erinnerte, wie nötig es manchmal war, um der Gerechtigkeit willen, um der Ordnung willen grausam zu sein, damit anständige Menschen und ihre Familien in Frieden leben konnten! In normalen Zeiten hätte dieser Verräter nicht sterben müssen; jetzt aber musste er zum Wohle anderer geopfert werden.
Felix zog die Vorhänge vor die geschlossenen Fensterläden und schaltete das Licht an. Le Masque stand steif da und blickte auf die schluchzende, geknebelte Gestalt auf der Matratze. Gerbier stellte einen Stuhl in die Mitte des Raumes. Sie zogen den Verräter hoch, setzten ihn auf den Stuhl, und Gerbier sagte: »Ich verspreche dir, du wirst nicht leiden.« Le Masque hielt ihm die Arme fest und Gerbier die Beine, den Blick auf sein Gesicht gerichtet – welch ein Mut, dachte Ritchie –, während Felix dem Verräter das Handtuch um die Kehle legte und es durch Drehen eines Holzstücks zuzog. Der Verräter starb mit Tränen auf den Wangen. Sein Kopf fiel vor. Le Masque weinte. Bevor sie gingen, stand Gerbier lange mit dem Rücken zum Zimmer am Fenster. »Das hätte ich nicht für möglich gehalten«, sagte Le Masque. »Ich auch nicht«, sagte Gerbier.
Ritchie stellte die Anlage ab und starrte ins Leere. Er hatte vergessen, dass O’Donabháin den Film benutzt hatte, um seine Entschlossenheit zu stärken, bevor er Ritchies Vater tötete. Der Edelmut von Männern, die um höherer Ziele willen grausame, aber notwendige Dinge taten, rührte ihn.
Ich wäre heute Abend beinahe gestorben, dachte er. Meine Frau wäre beinahe Witwe geworden, und meine Kinder hätten den Vater verloren, meine Firma die lenkende Hand. Er konnte sich kaum noch an seine Affäre mit Nicole erinnern. Er konnte sich nur mit Mühe erinnern, wie sie ausgesehen hatte, und diese ferne Geschichte schien nichts mit dem aktuellen Thema zu tun zu haben, nämlich der Tatsache, dass eine böse Kraft beinahe seine Familie zerstört hätte. Und obwohl Bec rein formal nichts Unrechtes getan hatte – formal, wissenschaftlich betrachtet, als ob man das Gute mit Zahlen messen könnte, aber genauso dachten sie! –, erkannte Ritchie zu seiner Verwunderung, je mehr er darüber nachdachte, wie dicht seine Schwester am Ursprung des Bösen dran war, das um ein Haar sein Leben beendet hätte und immer noch seine Familie auseinanderreißen konnte.
Bec nämlich hatte Vals Zorn erregt, indem sie so abrupt mit ihm Schluss gemacht hatte; Bec hatte der Welt, und mit zwanzig Jahren Verspätung auch ihm, die Information zukommen lassen, dass zwei seiner Helden ihn für einen schlechten Musiker hielten; Bec hatte verhindert, dass er den Film machte, der seinen Ruf vielleicht gerettet hätte. Wenn man es ganz extrem sah, konnte man quasi sagen, dass Bec beinahe ihren eigenen Bruder umgebracht hatte. Und gleichzeitig bewegte sie sich in ihrer Welt schöner Menschen und galt als die beste Frau überhaupt. Sie hat ja keine Ahnung, dachte er. Sie hat keine Ahnung, welche Kluft dazwischen besteht, für wie gut sie sich hält und was sie tatsächlich getan hat. Und als ob es die ganze Zeit dort gelegen hätte und er es nur hätte finden und aufheben müssen, sah Ritchie auf einmal, wie gerecht es wäre, wenn die Moral Foundation der Welt zeigte, dass nicht alles, was Bec tat, richtig war.
Ritchie wusste nicht, welche Geheimnisse sie vielleicht verbarg, und er hatte nicht vor, danach zu suchen. Doch es erschien ihm jetzt offensichtlich, dass in gewisser Weise Gerechtigkeit geschähe, eine raue Gerechtigkeit, gewiss, ähnlich der pauschalen Gerechtigkeit der tapferen Männer der Résistance, aber dennoch eine Gerechtigkeit, sollte er zufällig auf ein unangenehmes Geheimnis von Bec stoßen und es still, bekümmert und doch würdevoll an die MF weitergeben. Darin läge, schien Ritchie, eine Art Güte; es war gefährlich für seine Schwester, in dem irrigen Glauben
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