Liebe und andere Parasiten
weiterzuleben, sie sei rechtschaffen. Indem er ihren Ruf beschädigte, würde er sie nur in die Welt der Sterblichen zurückholen, wo Frauen, die fast ihren Bruder getötet hätten, in Sicherheit waren.
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Um den Wechsel der Jahreszeiten herum, als es keine Überraschung mehr war, ein Blatt fallen zu sehen, aber die Tage noch warm und die Bäume noch grün waren, begann die unausgesprochene Abmachung zwischen Bec und Alex, das Haus leer zu lassen, zu bröckeln. Wenn sie sich am Anfang nicht gescheut hatten, gegenseitig ihren alltäglichen Plunder wegzuwerfen oder ihre Unordnung aufzuräumen, so verkehrte sich dieses Selbstvertrauen nach und nach in die gegenteilige Gewissheit, dass es einen guten Grund geben musste, wenn der andere etwas ins Haus brachte, und dass es gemein wäre, sich zu beschweren. Das ungeschriebene Gesetz gegen überflüssige Dinge stellte sich als substanzlos heraus; jeder Versuch, es durchzusetzen, hätte es verletzt.
Keiner von beiden bekam diese Veränderung mit, und erst später, als die Abende lang wurden, wurden sie sich ihrer Folgen bewusst. Papiere aus der Außenwelt, weder lebenswichtig noch einfach zu beseitigen, türmten sich zu kleinen Stapeln. Auf freien Flächen fand sich Platz für Geschenke und Fotos. Ein tansanischer Freund schickte Bec zum vierunddreißigsten Geburtstag eine Statuette aus dunklem Holz, und weil er der normalen Post nicht traute, beauftragte er einen teuren internationalen Kurierdienst. Sie stellten sie auf einen Kaminsims, und augenblicklich wirkte der Platz daneben ärmlich und leer. Familienfotos kamen an beiden Seiten dazu. Sie luden Leute zum Essen ein; sie schafften sich mehr Stühle an. Nach der Rückkehr von einer Konferenz, auf der sie zu viel Zeit in Stöckelschuhen verbracht hatte, sagte Bec, sie würde gern auf einem Sofa liegen, und kurz danach schauten sie und Alex sich Bilder in einem Katalog an, und kurz danach wiederum schlenderten sie durch ein Möbelhaus. Sie sah gediegene Sachen, die ihr gefielen, und einen Monat später kam das Sofa. Das rundliche rote Stück Behaglichkeit diente als Einfallspforte, und fast von selbst erschienen auf einmal Teppiche, drapierten sich Vorhänge links und rechts der Fenster – als es Winter wurde, erwies sich das Haus als zugig – und schlängelten sich Kabelknäuel wie Aale aus den Steckdosen.
Ende Oktober trafen Sachen ein, die Alex bei der Trennung von Maria eingelagert hatte. Die meisten verschwanden in dem Raum, den er als Arbeitszimmer benutzte, aber zwei Gemälde kamen an die Wände im Wohnzimmer; die Wände wurden sich ihrer Nacktheit bewusst. Ein kleiner runder Couchtisch, mit dem Alex aufgewachsen war, schlich sich ein. Er war weder schön noch hässlich, füllte sich aber, schien es Bec, bald mit Krimskrams und Habseligkeiten, die zwar nur Dinge waren, aber den Menschen etwas nahmen. Ein winziger Teil ihres wie auch Alex’ Bewusstseins ging in die Einrichtung und wurde von ihnen selbst und voneinander abgezogen. Es wirkte wie eine Niederlage, ein Rückzug, und Bec war sich nicht sicher, ob es ein Rückzug von einem niemals richtig ausgesprochenen Ideal des Minimalismus war oder die ersten Anzeichen, dass sie sich für eine Zukunft wappneten, die vielleicht doch ohne Kinder blieb.
Sie bewohnten ein Reich, das relativ neu auf der Welt war, ein Land, das viel jünger war als Amerika oder Liberia, aber nicht mehr völlig frisch, das Reich der sexuellen Freiheit. Sie hatten es nicht erobert und auch seine Gründung nicht miterlebt; sie waren einfach hineingeboren worden. Beide waren noch nie verheiratet gewesen und auch jetzt nicht formell miteinander verheiratet, aber in ihrer Geschichte hatten sie beide lange, enge Versuchsehen vor dieser geführt, die ihnen zu der Zeit, so wie diese jetzt, als das Eigentliche, das Endgültige vorgekommen waren. Diese Versuchsehen nannten sich »Beziehungen«, aber sie waren dennoch Ehen mit derselben Erwartung von Treue und derselben Erwartung, wenn nicht von lebenslanger, so doch zumindest von langer Dauer. Der Irrtum lag nahe, eine neue Versuchsehe als besser anzusehen, nur weil sie neu war, aber Alex, der in der Vergangenheit unter der lusttötenden Wirkung der Vertrautheit gelitten hatte – und seine Partnerinnen hatte mitleiden lassen –, merkte deutlich, wenn er frühere Versuchsehen mit dieser verglich, dass seine Vertrautheit mit Bec mit zunehmender Dauer seine Lust auf sie nur verstärkte. Sie fühlte das, und es steigerte wiederum ihr Begehren, und
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