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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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Handtuch ein, drehte Harry wieder zurück und schäumte ihn ein. Er griff sich ein Rasiermesser und machte sich ans Werk.
    »Darf ich fragen, was Sie beruflich machen, Sir?«, sagte er.
    »Ich leite ein medizinisches Forschungsinstitut. Das Belford Institute. In St John’s Wood.«
    Erkin trat von seiner Arbeit zurück und betrachtete seinen Kunden, das schaumige Rasiermesser in der Hand. »Sind Sie Harry?«, sagte er.
    »Richtig.«
    »Ich weiß nicht, warum ich Sie nicht erkannt habe.« Lächelnd nahm Erkin die Arbeit wieder auf. »Sie sind schon ein paarmal hier gewesen.«
    »Bin ich. Und ich kenne Ihren Namen.«
    »Harry, ja, Professor. Ich weiß nicht, wie ich das vergessen konnte.« Er stieß sich mit der Hand, die das Rasiermesser hielt, an die Stirn. »Mein Gedächtnis. Und Sie kennen mich.«
    »Erkin.«
    »Stimmt.« Er schüttelte den Kopf. »Ich sollte mich erinnern, denn wir haben uns über meine Tante unterhalten.«
    »Speiseröhre, nicht wahr?«
    »Oh, Professor!« Erkin deutete mit dem Rasiermesser auf Harrys Spiegelbild. »Sie beschämen mich. Sie erinnern sich an alles. Und da fällt mir ein, dass ich Ihrem Institut eine Spende versprochen hatte, und die habe ich nie gemacht.«
    »Wir haben mit Speiseröhren nichts zu tun.«
    »Nein, aber …« Erkin legte die Stirn in Falten. »Das gehört doch alles zusammen, mit zum Kampf oder wie man es nennen will, nicht wahr?«
    »Ja!«, sagte Harry. »Ja! Genau!« Unter dem Umhang ballte er aufgeregt die Fäuste.
    »Meine Tante, sie ist inzwischen gestorben. Schrecklich, schrecklich.« Erkin sog die Luft durch die Zähne ein, schüttelte den Kopf und machte ein paarmal ts-ts. »Die Frauen trifft es härter, wenn ihnen die Haare ausfallen. Und dann konnte sie nicht mehr richtig schlucken, nicht wahr? Bevor sie krank wurde, aß sie immer gern Auberginen, gebraten und mit Knoblauch und Olivenöl püriert, aber am Ende konnte sie das Zeug nicht mehr sehen. Alle in der Familie machten ihr Auberginen und kamen damit an, und sie musste sich bedanken und etwas davon essen. Sie war eine freundliche Seele, aber am Ende musste sie so viele Medikamente nehmen. Meine Mutter hielt ihr die Schüssel, während sie sich erbrach, und sagte: ›Ach, diese Ärzte mit ihren schrecklichen Medikamenten‹, und meine Tante sagte: ›Nicht die Ärzte sind schuld, sondern eure elenden Auberginen!‹«
    Harry fing an zu schwitzen.
    »Jetzt weiß ich’s wieder, Sie hatten eine Heilmethode gefunden«, sagte Erkin. »Deshalb hatte ich meine Tante erwähnt, glaube ich. Sie sind ein berühmter Wissenschaftler, stimmt’s?« Er lachte, als ob ihm das Wort »Wissenschaftler« peinlich wäre.
    »Es gibt keine berühmten Wissenschaftler mehr«, sagte Harry. »Vor dreißig Jahren habe ich etwas über Zellen herausgefunden, und zehn Jahre später haben wir es an einem bestimmten Krebs getestet. Die Heilquote war hoch. Aber es war nur eine Krebsart von vielen.«
    »Vorsicht, Sir. Wenn Sie so gut wären, den Kopf still zu halten.«
    »Nur eine mickrige kleine Krebsart. Ein paar hundert Fälle im Jahr. Und die vielen großen Krebse lachen uns weiterhin aus. Wissen Sie, was ich meine?«
    »Sie würden gern alle Formen von Krebs heilen, und Sie haben nur eine geheilt.«
    »Ja«, sagte Harry knapp. Erkin hatte genau begriffen, was er hatte sagen wollen, doch aus dem Mund des Friseurs hörte es sich an wie ein Scheitern.
    »Wenn für einen die Zeit gekommen ist, dann ist die Zeit gekommen, nicht wahr?«, sagte Erkin. »Es liegt in Gottes Hand.« Harry zischte. Erkin schob ihm gerade den Kopf nach vorn, um ihn zwischen den Nackenfalten zu rasieren, und hörte es nicht. »Ich bin kein sehr guter Muslim. Ich trinke und rauche und gehe nur am Feiertag in die Moschee. Und meine Tante, die hielt das sowieso alles für Quatsch. Aber am Ende, nicht wahr, kann man sich nicht verstecken. Gott trifft seine Entscheidung, und man kann nichts dagegen tun.«
    »Blödsinn!«, sagte Harry. Er spürte einen Stich im Nacken.
    »Ahh!«, sagte Erkin. Er legte das Rasiermesser hin, tränkte einen Wattebausch mit Alkohol und drückte ihn auf den Schnitt. »Nur ein kleiner Ritzer, Sir. Sie haben mich erschreckt, als Sie so geredet und den Kopf bewegt haben.«
    »Sie sind zu fatalistisch«, sagte Harry milde. Er konnte Muslime nicht mit demselben skeptischen Eifer attackieren wie Christen, womit er sich, erkannte er traurig, der Bigotterie schuldig machte.
    Erkin spülte und trocknete seinen kahl geschorenen Schädel. »Mein

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