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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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Wenn er, Harry, sich so sicher fühlte, dass Matthews Religion eine Lüge war, wie konnte es dann sein, dass er sich vom Mitleid seines Sohnes einwickeln ließ? Er sollte seinerseits Matthews Wahnvorstellungen in Mitleid ersäufen.
    Es kam ihm in den Sinn, seinem Sohn zu sagen, dass es schön war, ihn zu sehen, aber er dachte: Später, das kann ich immer noch machen. Er soll es sich erst mal verdienen.
    »Du siehst müde aus«, sagte er.
    »Ich bin um sechs aufgestanden, um herzukommen«, sagte Matthew. »Was ist mit deinen Haaren passiert? Hast du mit der Behandlung schon angefangen?«
    Harry strich sich über die Kopfhaut. »Ich wollte Ballast abwerfen. Wie geht’s meinen Enkeln?« Ihm schien, dass sich Matthews Augen bei der Frage ein ganz klein wenig verengten. Wie kann mein Sohn mein Feind sein, wenn er noch ein Kind ist?, dachte er. Sie hatten bittere Worte gewechselt, und doch war er froh, dass Matthew gekommen war. Sein Sohn war ihm vertraut. Wieder dachte er daran, Matthew zu sagen, dass es schön war, ihn zu sehen. Aber warum es aussprechen, er wusste ja, dass es stimmte. Er ließ seine Hand in die Jackentasche gleiten und befühlte die Locke.
    »Lettie und die Kinder lassen dich lieb grüßen«, sagte Matthew.
    Shane sagte, für ihn werde es Zeit, gab allen die Hand, bedankte sich noch einmal bei Harry, wünschte ihm alles Gute und ging. Harry, Carol und Matthew sahen ihm mit dem Gefühl hinterher, dass mit diesem Mann, den sie alle nicht kannten, der Freundlichste und Liebenswürdigste unter ihnen sie verlassen hatte. Carol sagte, sie wolle auch gehen, weil »Sie beide sich sicher viel zu erzählen« hätten.
    »Wieso haben Sie ihm erzählt, ich hätte einen Hund?«, fragte Harry sie.
    »Ich finde, Sie sollten einen Hund haben«, sagte Carol. »Sie sollten dieses große Haus nicht allein bewohnen.«
    »Ich habe eine Haushälterin«, sagte Harry. »Ich werde eine Pflegerin bekommen. Irgendwann wird es nur noch das Haus geben.«
    »Sie sollten sich einen netten Hund besorgen«, sagte Carol. »Einen Jack Russell. Ich kenne einen, schon stubenrein. Shane hat mir gefallen. Er wollte Ihnen einen Mantel schenken. Ich wusste, er wäre enttäuscht gewesen, wenn ich gesagt hätte, dass Sie keinen gebrauchen können.«
    »Und jetzt habe ich die Bescherung.« Harry hielt das Geschenk hoch, das leise klirrte.
    »Er machte einen netten Eindruck«, sagte Matthew.
    »Er verdankt Harry sein Leben«, sagte Carol. Sie zitterte; sie trug eine dünne Bluse, und es war ein grauer Septembertag.
    »Gehen Sie, gehen Sie«, sagte Harry.
    »Ein Korb ist auch dabei«, sagte Carol im Fortgehen über die Schulter.
    Matthew setzte sich neben seinen Vater.
    »Freust du dich, dass er noch lebt?«, sagte Harry. »Shane, der Hunde-Couturier?«
    »Selbstverständlich.«
    »Deinen Leuten zufolge erwartet ihn die ewige Verdammnis in der Hölle, wenn er stirbt, wegen Sodomie.«
    »Sprich jetzt nicht davon, Dad«, sagte Matthew.
    »Ich dachte, es wäre interessant.«
    »Du redest ständig darüber, was andere Leute glauben, statt dich selbst zu fragen, ob du ein gutes Leben führst«, sagte Matthew. »Wir diskutieren nicht in einem fort über Religion wie die Atheisten. Wir denken gar nicht daran. Wir leben einfach.«
    Ich habe ihm eine Chance gegeben, dachte Harry. Er ist so empfindlich. »Ich will nicht, dass du meinen Enkeln das Denken abgewöhnst.« Er hob die Stimme. Sein Ärger und die Freude darüber, seinen Sohn zu sehen, flossen in eins zusammen. Das Grundgefühl war jetzt Nostalgie. Er wollte, dass Matthew blieb und sich bereitwillig verspotten ließ und dass er dann seinen Vater wieder umarmte. Aber der Junge war stolz.
    »Ich könnte am Wochenende in den Norden kommen«, sagte Harry.
    »In deinem Zustand solltest du nicht reisen.«
    »Der Arzt hat nichts davon gesagt, dass ich nicht reisen könnte.«
    »Bei uns ist zurzeit wahnsinnig viel los. Es ist unglaublich, was für ein Programm die Kinder schon haben.«
    »Gib mir einen Termin.«
    »Ich muss mit Lettie darüber reden.«
    »Warum bist du hergekommen?«
    »Du bist mein Vater, und du bist mir wichtig, trotz allem.«
    »Wie großmütig von dir.«
    »Am Telefon klangst du erschrocken.«
    »Ich war nicht erschrocken. Ich war betrunken. Bist du sicher, du weißt, was dir wichtig ist? Dir und Lettie ist es wichtig, das Haus zu bekommen. Wenn ich euch wichtig wäre, würdet ihr mich meine Enkel sehen lassen.«
    »Das ist eine Frage des Vertrauens.«
    »Du vertraust deinem Vater

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