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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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nicht gepasst. Jetzt gibt es für sie nur noch den Impfstoff. Sie legt ein paar Tage in London ein, dann geht’s wieder für lange Zeit nach Afrika. Ich glaube kaum, dass sie Zeit für Partys haben wird. Frag sie erst gar nicht. Wirklich, Alex, lass es am besten sein. Hör mal, ich muss los, aber wir sprechen uns bald mal, ja?«
    23
    Harry hatte sich mit der selbstsicheren Ausstrahlung eines Großstädters auf den kleinen Alex gestürzt, ein ungeduldiger, skeptischer Londoner, der durch das kleingeistige Dornengestrüpp einer schottischen Provinzstadt trampelte, um zu der seltenen Orchidee seines hochbegabten Neffen zu gelangen. Er trug rosa Hemden mit weißem Kragen, bekam mitten in der Nacht Anrufe aus Amerika und verbreitete eine dichte Wolke aus Aftershave, Cognac und Tabak in Alex’ schlecht beheiztem Zuhause mit seinen dicken Steinmauern und beschlagenen Fensterscheiben. Alex’ Eltern hatten im Wohnzimmer ein verstimmtes Klavier stehen, auf dem nur Harry spielte. Wenn er zu Besuch kam, setzte Harry sich am Abend daran, und dann spielte er Jazz, ließ die Asche von seinem Stumpen auf die Tasten fallen, sang mit brüchiger Stimme und schaute über die Schulter Alex’ Mutter an. Alex verabscheute Jazz. Zu der Zeit gab es für ihn nur The Smiths. Aber manchmal, wenn Harry unten etwa It’s the Rhythm In Me sang und seine breiten Finger die tiefen Tasten bearbeiteten, stahlen sich die Klänge in Alex’ Zimmer, und dann konnte er nicht widerstehen und musste seine Stöcke nehmen und mitspielen.
    Harry erklärte Alex, dass es kein Geheimnis gab, das die Wissenschaft nicht aufklären werde. Naturwunder zu bestaunen sei gut und schön, sagte er, aber das sei kein Ersatz dafür, sie zu verstehen. Er kam samstagmorgens mit dem Schlafwagen aus Euston und nahm Alex und Dougie auf Spaziergänge in den Grampians oder an der Küste von Angus mit, wo er ihnen, je nachdem, was ihnen begegnete, Vorträge hielt über die Genetik der Heideblumen, die Prismenhaftigkeit des Regenbogens und die natürliche Auslese am Beispiel des Hasenfells, das im Winter weiß wurde. Er schmähte die Kirchen der Gegend als Monumente, die man der Ignoranz gesetzt habe, und demontierte eine Reihe von stummen, unsichtbaren Gegnern, die die Existenz Gottes beweisen wollten, in so lauten und schneidenden Reden, dass die grasenden Schafe erschrocken aufschauten und näher zusammenrückten. Die Spaziergänge endeten immer mit der Suche nach Dougie, der sich absetzte, während Harry Alex’ eingehende Fragen beantwortete, und, wenn man ihn fand, dabei war, mit den Fingern Stichlinge zu fangen, die Felsen mit Vogelbeeren zu beschmeißen oder Steine über die Wellen flitzen zu lassen.
    In Alex’ fünftem Highschool-Jahr lud Harry ihn ein, eine Woche nach London zu kommen und bei der Familie zu wohnen. Am Vorabend seiner Fahrt nach Süden sah Alex seinen Onkel im Fernsehen angeregt über seine Arbeit plaudern, darüber, wie er den Körpern von Krebspatienten Zellen entnahm, deren Gene veränderte und sie wieder einsetzte. Er war nicht wie die anderen Wissenschaftler, die Alex sonst im Fernsehen sah, steif, nervös und argwöhnisch. Harry lachte, lehnte sich in seinem Sessel zurück und brachte den Interviewer mit einer schlagfertigen Erwiderung zum Verstummen. Er erschien Alex als ein Meister des Lebens, der den Willen anderer Menschen so mühelos formte, wie er die Moleküle mischte, die bestimmten, wie lange sie lebten. Als Alex jedoch mit Harrys Frau Jenny und seinem Sohn Matthew am Abendbrottisch saß, war sein Onkel angespannt und schroff. Tante Jenny war eine korpulente, trübsinnige Frau, die hinter dem Vorhang ihrer langen, von krausen weißen Strähnen durchsetzten schwarzen Haare selten etwas sagte und nie lachte. Am ersten Abend trug Matthew, der in Alex’ Alter war, ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Jesus starb für unsere Sünden« in dicken roten Lettern. Er hatte ein klobiges keltisches Kreuz am Lederband um den Hals hängen und versuchte, sich einen Bart wachsen zu lassen. Vor dem Essen fragte er Alex, ob er das Tischgebet sprechen wolle, und Harry fuhr seinen Sohn an: »Ich hab dir doch gesagt, dass dein Cousin Atheist ist.«
    »Stimmt das?«, fragte Matthew Alex.
    »Ich glaube schon«, sagte Alex.
    »Du musst Jesus in dein Leben lassen«, sagte Matthew, schlug die Augen nieder und griff sich ein Stück Brot.
    »Warum sollte er?«, sagte Harry, und zu Alex: »Hör nicht auf Matt, dem haben sie das Gehirn gewaschen.«
    Jenny schaute von

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