Liebe und andere Parasiten
nicht beleidigt, oder?«, sagte Ritchie und sah ihn mit großen Augen an.
»Nein, nein.«
»Wir haben doch nur ein bisschen Spaß gemacht.«
»Ich weiß.«
»Auch wenn du ein treuloser kleiner Saftarsch bist, der seine eigene Schwester für eine Story verkaufen würde.«
»Genau«, sagte Art und versuchte zu grinsen. Er rang sich ein Lachen ab. »Ihr seid auch zwei richtige Arschlöcher.«
»Das ist aber nicht sehr nett, so was zu sagen«, sagte Midge ernst.
Art wurde bleich im Gesicht. Er schien nach einer schlagfertigen Erwiderung zu suchen und begnügte sich dann damit, Midge fest in die Augen zu starren. Midge erwiderte seinen Blick und fragte, ob etwas nicht stimme. Art ließ die Schultern sinken, winkte mit halb erhobener Hand und ging davon. Ritchie rief ihm noch nach, seine Frau zu grüßen.
Als er fort war, saßen sie eine Weile schweigend da.
»Wie geht’s Karin?«, sagte Midge.
»Das hast du schon mal gefragt. Wie gesagt, gut.«
»Scheiße, du bist echt schräg drauf, Ritchie.«
»Zu viel Arbeit.«
»Weißt du was«, sagte Midge mit gedämpfter Stimme. »Ich hätte Lust, mir ’ne Prise Schnee reinzuziehen. Hast du welchen?«
»Könnte welchen besorgen«, sagte Ritchie.
Midge hielt Ritchie am Handgelenk fest, bevor er seinem Dealer simsen konnte. »Ich geh los«, sagte er. »Ich kenne einen Typ hier in der Nähe. In zehn Minuten bin ich wieder da.«
Ritchie blieb allein auf der Bank sitzen, vor sich das Aufgebot schmieriger leerer Gläser. Er drehte sich um. Eine Frau im schulterfreien schwarzen Kleid saß an der Theke. Ritchie stand auf, trat neben sie und sagte »Hallo«. Er wollte ihr einen Drink spendieren und ihr davon erzählen, wie er seinerzeit mit Bono und David Bowie im Hammersmith Palais ein Konzert gegeben hatte. Die Frau sah ihn an, wandte sich ab, hob einen Finger und fing den Blick des Barmanns auf.
»Mr Shepherd«, sagte der Barmann. »Haben Sie möglicherweise vergessen, dass bei uns ungebetene Annäherungen an andere Gäste strikt untersagt sind?«
Ritchie entfernte sich von der Theke, eine Hand ausgestreckt, um die Wand auf Sicherheitsabstand zu halten, nachdem er sich die Schulter daran gestoßen hatte. Er schloss sich in einer Toilette ein. Ein Schild über dem Becken wies darauf hin, dass Gäste, die im Lokal beim Drogenkonsum erwischt wurden, Hausverbot bekamen. Ritchie holte etwas in Alufolie Verpacktes aus der Tasche, legte es auf den Spülkasten und wickelte es aus. Er nahm eines der dunkelbraunen Stücke aus der Folie, setzte sich auf den Toilettendeckel, schloss die Augen und presste sich die Schokolade an den Gaumen.
29
Harry hatte sich einen witzigen Wortwechsel zu seinem Krebs ausgedacht. Er stellte sich vor, dass jemand Fremdes ihn fragte, was er beruflich mache, und er antwortete, er leite ein Krebsforschungsinstitut, worauf der Fremde weiter fragte, was für einen Krebs sie erforschten, und er sagte: »Nicht die Art, die ich habe. Ich beneide Leute, die den Krebs haben. Wenn es ein entsprechendes Gebot gibt, dann verstoße ich dagegen. ›Du sollst nicht begehren deines Nächsten Krebs.‹«
Aber kein Fremder stellte je die Fragen, die Harry sich ausgedacht hatte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als die Situation zu beschreiben, und bevor er zum Witz kam, erschienen auf dem Gesicht seines Gegenübers drei O: zwei runde Augen und ein aufgerissener Mund. Das konnte Harry nicht ertragen. Er wollte, dass der Krebs und er als Figuren in einem alten Schwank angesehen wurden, »Der Krebs und der Chemikus«, ähnlich der Geschichte vom Bauern, der nachts an einer Kreuzung auf halbem Weg zwischen seinem Haus und der Hölle mit dem Teufel wettet, wer der Klügere ist. Die drei O zollten dem Tod Respekt. Er kam sich vor wie einer, der einen Freund vorstellt, der einen Prominenten kennt. Der Krebs war es, mit dem die Leute reden und dem sie Insider-Informationen entlocken wollten. »Ach, Sie kennen den Tod! Wie ist er denn so?«
Harrys frühere Frau lebte in Neuseeland. Sie war in das Land ihrer Vorfahren zurückgezogen und hatte Harry erklärt, es sei ein Fehler von ihm gewesen, sich an die erste von ihm geschwängerte Frau zu binden, offenbar habe er frühzeitig einen komplizierten Punkt auf seinem Programm abhaken wollen, um sich seinen anderen Prioritäten zuzuwenden; und Harry hatte ihr nicht widersprochen und auch nicht versucht, sie aufzuhalten. Seine nachehelichen Liebschaften waren mit Ende fünfzig langsam ausgelaufen. Nach der Erfahrung mit der
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