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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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verspürt hatte, als er Tausende an Mutterschaftsgeld für eine Forschungsleiterin ausgespuckt hatte, die, wie er wusste, gar nicht daran dachte, nach der Geburt ihres Babys weiterzuarbeiten. Wenn Harry, mit dem höchsten Gehalt am Institut, nun schwanger statt tödlich krank geworden wäre, was dann? Der Leiter der Finanzabteilung gab die Zahlen ein und starrte entsetzt auf den Bildschirm. Wie viel mehr ihn das kosten würde! Er löschte »Mutterschaftsgeld« und tippte »Sterbegeld« ein. Er sah sich schuldbewusst um und buchte für Harrys Abschiedsfete ein Zehntel des Betrags, den er ihm als junge Mutter gezahlt hätte. Sogleich war er von seiner Großzügigkeit ganz gerührt und schickte Carol eine E-Mail.
    Harry erachtete es als knauserig und erklärte Carol, er werde den Betrag, den das Institut beisteuerte, aus der eigenen Tasche verdreifachen. Er fand, bescheidene öffentliche Bedienstete wie er hätten die Pflicht, fürstliche Empfänge zu geben. »Soll ich etwa wie ein Mönch leben, nur weil ich nicht der Direktor eines Ölunternehmens bin?«, fragte er. Ein amerikanischer Kollege brummte etwas über den Krieg gegen den Krebs. »Ach«, sagte Harry, »wenn Sie wüssten, wie viel Champagner der Premierminister im Krieg über das offizielle Kontingent hinaus gebechert hat, während unsere tapferen Jungs gefallen sind! Churchill wusste«, sagte Harry, »dass ein Leben ohne Überfluss, ohne die große Geste die größte Vergeudung überhaupt war.«
    Zwei tief dekolletierte junge Frauen in High Heels und dunklen Strumpfhosen und etwas Gold hier und da, eine Medienassistentin beim Wellcome Trust und eine Freundin mit nicht mehr als einem Stellenwunsch, erschienen auf der Party; befürchteten, zu förmlich gekleidet zu sein; befürchteten, sich von vielen möglichen Events einen lahmen ausgesucht zu haben; waren erleichtert vom Plärren der Posaunen, dem Schrubben eines Kontrabasses, den bunten Farben, nackten Schultern, schicken Jacketts, Perlen auf Haut, dem Dröhnen der Gespräche; merkten, dass niemand sie kannte; wurden nervös; bekamen kalten Champagner angeboten; lächelten den süßen Kellner an; nippten; spürten es auf der Zunge prickeln; fühlten sich toll in der großen Stadt; sahen London leuchtend unter sich liegen; traten an das große Fenster; wurden schwindlig von der Höhe; nahmen größere Schlucke; meinten übereinstimmend, es sei, als flögen sie über London; sahen die blinkenden Lichter eines Flugzeugs, das auf dem City Airport landete; fanden es irre, von oben darauf zu schauen; bemerkten helle Inseln im Lichtermeer; erkannten die City, Canary Wharf, das O2, Stratford, wo die Olympischen Spiele gewesen waren; zogen sich vom Fenster zurück; bekamen etwas zu essen angeboten; beugten sich vor, um sich häppchengroße Pizzen in den Mund zu schieben, sodass ihre Ohrringe wackelten und glitzerten; erregten die Aufmerksamkeit zweier Männer.
    Ein einsamer Geologe von Mitte vierzig, der mit seinem Leben unzufrieden war, versuchte, mit der Arbeitslosen ein Gespräch anzuknüpfen; wurde beschieden, sie versuche, Mittel für ein Multimedia-Pilotprojekt aufzutreiben, das in der Öffentlichkeit mehr Verständnis für die Wissenschaft schaffen solle; erwog, ihr zu sagen, dass das Zeitverschwendung war; fand sie jung, hübsch; versuchte, sie mit Klatsch über Harry zu beeindrucken; ließ sie wissen, dass Harry seinen Sohn nicht zum Fest eingeladen hatte; wurde gefragt, welcher denn Harry sei; zeigte ihn ihr, wie er im stahlblauen Anzug, mauve Hemd und rosa Binder am Champagnertisch stand, einen Halbkreis von Leuten um sich, und vor und zurück wippte, Hände in den Taschen, gleichzeitig lachend und redend; bekam von der Medienassistentin gesagt, wie gut Harry aussehe; sagte ihr, er habe abgenommen, bis zum Frühling werde er tot sein; faszinierte die Frauen unabsichtlich durch die beiläufige Selbstverständlichkeit, mit der er das sagte; merkte nicht, dass sein Freund sich vernachlässigt fühlte.
    Der Freund, ein gut aussehender junger Journalist vom New Scientist , der sich nicht in Schale geworfen hatte, durchquerte unter einem Vorwand den Raum; gesellte sich zu einer amerikanischen Biologin, die sich mit einem Schriftsteller unterhielt, der in einem vergessenen Bestseller das Ende der Welt vorhergesagt hatte; fragte die Biologin, ob sie extra für die Party aus Amerika angereist sei; wurde für nassforsch und banal befunden; bekam die Auskunft, sie sei gekommen, um ein gut gelebtes Leben zu feiern;

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