Liebe und andere Parasiten
hustend und kopfschüttelnd in einem Sessel im Wohnzimmer vor. Mehrere Leute um ihn herum wollten gern ihre Hilfsbereitschaft beweisen, aber wussten nicht, was sie tun sollten; sie schienen Schlange zu stehen, um ihn anzufassen. Er hatte ein Glas Wasser in der einen Hand und ein beflecktes und zerknülltes weißes Baumwolltaschentuch in der anderen. Das Licht brannte, und der Raum stank nach Zigarrenrauch. Ein ausgedrücktes Zigarillo lugte über den Rand eines Aschenbechers.
»Wir haben uns unterhalten«, sagte Harry. Seine Stimme war heiser und schwach. »Wir finden, jetzt, wo du der Institutsleiter bist, solltest du mich ein paar von diesen Zellen haben lassen, nur um zu sehen, was passiert.«
»Lass uns ein andermal darüber reden. Du solltest zu Bett gehen.«
»Warum musst du so verdammt negativ sein?«, sagte Harry. »Weißt du, was dein Problem ist? Du hältst zu viel vom Tod. Du meinst, wir können nicht gegen ihn an.« Er begann zu husten.
»Na ja, er macht das schon länger«, sagte Alex.
»Ich dulde nicht, dass du so redest! Gerade jetzt, wo es flutscht! Wir sind dabei, den Durchbruch zu schaffen! Wir sind fast da, und du tust nichts anderes, als allen zu erzählen, dass wir nie ankommen werden.« Harry hustete erneut. Er hob die Stimme, als hustete jemand anders, den er übertönen wollte, und durch die Anstrengung hustete er noch mehr. »Du gibst dich so unangreifbar, so selbstzufrieden, so gern bereit, in die Arbeit der anderen Löcher zu picken«, krächzte er, am hochgehusteten Schleim würgend, »und dabei bist du derjenige, der sich nicht traut. Leute wie du mit ihren Sprüchen: Wir werden niemals auf dem Mond landen, wir werden niemals wissen, wie das Universum entstand, wir werden Krebs niemals heilen. Wir werden immer nur an der Peripherie herumkratzen.« Er beugte sich vor und vergrub das Gesicht im Taschentuch. Alex kniete sich neben ihn und sagte, er solle aufhören zu reden. Harry lehnte sich zurück, wischte sich den Mund, wurde abermals von einem langen, gurgelnden Hustenanfall geschüttelt, der sich anhörte, als würgte er an einem Schwert, und schrie Alex an: »Du bist ein Feigling! Fürchtest den Tod! Ein elender Feigling!«
33
Alex rief Harrys Arzt an, der meinte, er solle sich keine Sorgen machen. Alex stand im Wohnzimmer, wo die Kerzen im hellen Licht aussahen wie Gäste, die nicht merkten, dass es Zeit war zu gehen. Die Koryphäen der Zellbiologie hatten sich an dem Abend mit Harrys Wein betrunken. Keiner von ihnen verstand viel von Medizin, doch Alex hatte vor, zu gehen und es ihnen zu überlassen, sich um seinen Onkel zu kümmern. Die Belohnung, die er dafür haben wollte, dass er Harry das Unsterblichkeitszugeständnis gemacht hatte, war ein kurzer Urlaub von der Pflege. Er ging nach unten, nahm seinen Mantel vom Haken und trat hinaus an die frische Luft. Während er die Reihenhäuser entlangschritt und nach einem Taxi Ausschau hielt, genoss er eine Weile lustvoll die Sünde, einen kranken alten Verwandten sich selbst zu überlassen, und dachte an Becs Worte: »Das geht nicht, solange du das Bett noch mit einer anderen teilst. « Es war, als hätte sie ihm gesagt, was er tun sollte.
Zu Hause in Mile End, wo er schon so lange lebte, sah er alles mit dem ganz neuen Gedanken an, dass er im Begriff war, sich davon zu verabschieden. In der Küche hörte er das Flackern und Brummen der angehenden altmodischen Neonröhre, als wäre es ein Lied aus ferner Vergangenheit und nicht etwas, das er erst am Morgen gehört hatte. Wie ein Gespenst starrte er den schmutzigen Becher an, den Maria stehen gelassen hatte, bekannt und doch ganz anders, ohne dass er sich physisch im Geringsten verändert hatte. Es war der schwarze Kaffeebecher, den er sich aus Schottland mitgebracht hatte, als er als Student nach London kam. Gestern noch war er etwas gewesen, das sich als Behältnis für Kaffee anbot, wenn er in den Schrank langte. Jetzt war er ein Gegenstand, den man mitnahm oder für immer verlor. »Nimm ihn, es ist deiner«, würde Maria sagen.
Früher hatte er Maria haben wollen. Wohin war das Wollen gegangen? Bestimmt, dachte er, zu den ganzen anderen Dingen, die sie hatten. Wenn man einen Menschen liebte, war Haben gleich Sein; irgendetwas anderes zu lieben war nur Haben. Er hatte Maria früher mal haben wollen, und jetzt wollte er Bec. Er wollte sie besitzen und sich nicht davon ablenken lassen, irgendetwas anderes haben zu müssen.
Im Wohnzimmer war Marias Decke auf dem Sofa
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