Liebe und andere Parasiten
nichts miteinander. Er hat eine Lebensgefährtin.«
»Er wird sie verlassen. Sie mögen ihn gern.«
»Er erklärt einem laufend irgendwas.«
Harry nahm eine Flasche aus dem Regal und las das Etikett. Er zeigte sie Bec mit großen Augen, biss sich dabei auf die Unterlippe, als ob es ein Zaubertrick wäre, und sagte: »Ist das das Jahr, in dem Sie geboren wurden?« Bec nickte. »Ich glaube, wir sollten ein Glas davon trinken. Sie sind der Meinung, dass professionelle Welterklärer wie wir uns mit unseren Erklärungen auf die Arbeitszeit beschränken sollten. Alex kann zuhören, wissen Sie. Als Junge stellte er mir immer Fragen, und wenn ich ihm eine Antwort gab, hörte er zu und merkte sie sich.«
»Was für Fragen?«
»Woraus bestehen Steine? Können Vögel auf dem Rücken fliegen? Ist es besser, glücklich zu sein als gut?«
»Ich wüsste gern, wie Sie die letzte beantwortet haben.«
»Es kommt nicht darauf an, glücklich zu sein, sondern Glück zu haben. Wir stehen uns nahe, Alex und ich. Näher, als Matthew mir ist. Das Blut ist nicht entscheidend. Was zählt, sind die inneren Bindungen, meinen Sie nicht? Alex begreift nicht, dass es für Kinder gut ist, viele Väter zu haben. Er denkt, was die Elternschaft betrifft, muss man sich der Evolution beugen. Er sagt, er wird nie wieder eine IVF mitmachen. Ich persönlich denke, dass Darwin der IVF applaudiert hätte. Wenn wir anfangen zu fordern, dass die Menschen sich natürlich fortpflanzen, wo kommen wir da hin? Wir Menschen haben der Evolution ganz gut gezeigt, wo es langgeht, als wir anfingen, das Feuer zum Braten zu benutzen.«
Sie gingen nach oben. Ein Dutzend Leute saß in dem von Kerzen erleuchteten Wohnzimmer. Kerzenlicht brachte Menschen dazu, sich auf den Boden zu setzen und die Stimme zu senken. Ein Geruch nach heißem Wachs und vergossenem Wein lag in der Luft, und aus einem Lautsprecher in der Ecke dudelte ein leises Trompetensolo. Eine Flamme krümmte sich und flackerte durch den Luftzug, den Alex’ gestikulierende Hände verursachten. Bec trat an ihn heran und berührte ihn an der Schulter. Er hörte auf, zu reden und herumzufuchteln, und blickte gespannt zu ihr auf.
»Ich muss gehen«, sagte sie. Sein Gesicht wurde lang. Er stand auf und bat sie zu bleiben.
»Ich bin müde«, sagte sie. »Im Flugzeug zu schlafen ist kein richtiger Schlaf.«
Sie wartete, um sich von Harry zu verabschieden. Obwohl er gerade erst aus dem Keller gekommen war, erzählte er schon wieder eine Geschichte über einen Disput, den er einmal mit einem russischen Biologen über die Evolution der Organe im Körper gehabt hatte.
»Ich sagte: ›Was, Sie glauben, die Leber hätte sich aus einem Parasiten entwickelt?‹, und er sagte: ›Ja, ja.‹« Harry zupfte sich an einem imaginären Bart und machte einen übertriebenen russischen Akzent nach. »›Und die Nieren?‹ ›Warum nicht?‹ ›Und das Gehirn, das Auge?‹ ›Aber ja doch.‹ ›Die Lunge?‹ ›Entwickelte sich auch parallel und kam zum Körper dazu.‹ ›Was ist mit dem Herzen?‹« Harry boxte in die Luft und ließ seinen Russen plötzlich leidenschaftlich werden. »›Oh, das Härrz hat geschlaggen quär!‹ «
Harrys Zuhörer lachten, und Bec gab ihm einen Abschiedskuss, und Harry quetschte ihr die Hand. Alex folgte ihr zur Haustür und sagte, er werde mit ihr gehen, und sie sagte, er solle bei Harry bleiben; sie werde die letzte U-Bahn bekommen.
»Ich möchte heute Nacht bei dir sein«, sagte Alex.
»Das geht nicht, solange du das Bett noch mit einer anderen teilst.«
»Ich werde sie verlassen.«
»Tu es nicht meinetwegen.«
»Ich rufe sie sofort an. Ich gehe nie wieder zurück.« Alex nahm sein Telefon. Bec hielt ihre Hand über die von Alex und drückte das Telefon weg.
»Nein«, sagte sie.
Alex fragte, ob er sie am nächsten Tag sehen könne, und Bec antwortete, sie fliege zu Weihnachten nach Spanien und anschließend zurück nach Afrika. Alex presste ihr die Information ab, dass sie den Zehn-Uhr-Zug von Paddington zum Flughafen nehmen wollte, und sagte, er könne sie vorher treffen. Bec sagte, sie halte das für keine gute Idee.
»Schreib mir«, sagte sie. Sie hatte schon den Mantel an. Sie machte die Tür auf und stand mit den Händen in der Tasche auf der Schwelle, sah Alex an. Er wollte gerade auf sie zutreten, als eine Frau erschien und ihm zurief, sein Onkel verlange nach ihm. Während er abgelenkt war, sagte Bec Tschüs und machte sich auf den Weg zur Station Angel.
Alex fand Harry
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