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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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anderen tretend und bremsend am Boden.
    Neun Uhr dreißig zeigte die Uhr am Bahnhof King’s Cross an und die Uhr hoch darüber im großen roten Turm von St Pancras desgleichen. Alex strampelte an der British Library vorbei. Es fing zu regnen an. Um ihn herum jaulten Sirenen. Er fuhr steil hinab in den Tunnel am U-Bahnhof Warren Street, ächzend am anderen Ende wieder hinauf, und wusch! brach er durch die Membran, die Ost- von Westlondon trennte. Er passierte die ersten weißen Crescents der Superreichen. Neun Uhr sechsunddreißig zeigte die Uhr auf dem Landmark Hotel an. Er stürmte am Western Eye Hospital vorbei, überfuhr die rote Ampel, bog in die Harrow Road ein, schoss zwischen einer Taxischlange und der hohen Betonkonstruktion des Westway dahin, nahm die Brücke über die Gleise und geriet in den Strom schwarzer Taxis Richtung Paddington Station. Er schnitt einem älteren Ehepaar den Weg ab, das auf die Taxischlange zusteuerte, und als sie ihren Gepäckwagen bremsten, rutschte ein Koffer herunter und kreiselte wie ein Curlingstein auf Alex’ Hinterrad zu, und er wich aus und fuhr zwischen den grauweißen Säulen in den Bahnhof und an der Statue von Brunel vorbei in den Lärm eines abfahrenden West Country Express und den Dieselgeruch unter dem hohen Hallengewölbe. Seine Reifen glitten weich über die beigen Fliesen, Passagiere sprangen zur Seite, Kaffee wurde verschüttet, Schreie schollen zu den Deckenträgern empor, und Alex fuhr mit Klingelingeling vorbei an McDonald’s, WH Smith, Ladbrokes, der West Cornwall Pasty Co. und Costa Coffee, um die Ecke, durch die Fahrkartenkontrolle, wo ein Polizist mit erhobener Hand einen Schrei ausstieß, dem man gefälligst gehorchte, doch Alex gehorchte nicht, bis er die gelbe Schnauze des nächsten Zuges nach Heathrow sah, zur Uhr an der hinteren Wand aufblickte, anhielt und von seinem Rad abstieg. Ihm blieben noch sechzehn Minuten.
    Schwer atmend, erhitzt und mit hämmerndem Herzen und kribbelnden Beinen ging er den Zug entlang und schaute durch die Fenster und über die Schulter für den Fall, dass sie hinter ihm kam. Während er den ganzen Zug abschritt, ohne sie zu sehen, musste er daran denken, wie eifersüchtig er am Abend zuvor gewesen war, als er sie mit anderen Männern tanzen gesehen hatte, und wie ihm, als sie beim Abschied auf der Treppe vor Harrys Haus gezögert hatte, der Gedanke gekommen war, dass sie sich von ihm einen Grund erhoffte, nicht zu gehen. Er drehte sich um und sah, wie sich am anderen Ende des Zuges eine Frau, die Bec sein konnte, beeilte, noch einzusteigen. Er rannte zurück und sah sie durch die Scheibe an einem Fensterplatz sitzen. Sie erblickte ihn, lächelte verwundert und stand auf. Pfiffe ertönten, und als Alex und Bec zur Zugtür gelangten, war diese geschlossen und ließ sich nicht mehr öffnen.
    »Ich habe Maria verlassen!«, schrie Alex durch die Scheibe. Bec schüttelte den Kopf und deutete auf ihre Ohren. Sie nahm ihr Telefon, drückte Ziffern und hielt das Display an die Scheibe. Alex wählte die Nummer und Bec meldete sich.
    »Ich habe Maria verlassen«, sagte Alex.
    »Ich hoffe, nicht meinetwegen«, sagte Bec.
    »Nur deinetwegen.«
    »Das hättest du nicht tun sollen. Ich habe dir nichts versprochen; ich bin keine Beziehungsbrecherin.«
    »Die Beziehung war schon zerbrochen.« Er legte die Hand auf die Scheibe.
    Bec schüttelte den Kopf. »Ich werde dir schreiben«, sagte sie. Der Zug setzte sich in Bewegung, und Alex stieg auf sein Rad und fuhr nebenher, immer noch mit dem Telefon am Ohr und weiter mit ihr redend.
    »Halt an!«, sagte Bec ins Telefon. Der Zug verließ den Bahnhof, und sie verlor ihn aus den Augen.
    Alex war verstummt. Bec fragte sich, ob er den Zug gejagt hatte, bis er über das Ende des Bahnsteigs hinausgesegelt war. Wie verloren er da ausgesehen hatte mit der Hand auf der Scheibe. Sie hätte ihm die Tür aufgemacht, wenn sie gekonnt hätte. Sie wartete darauf, dass er wieder anrief; er rief nicht an.
    Es gab keine Nachrichten oder verpassten Anrufe für sie, als sie landete, und sie schickte ihm eine SMS : »Ich WERDE dir schreiben.« Unverzüglich simste er zurück: »Was wirst du schreiben?«

35
    In den Tagen, nachdem Val ihm gedroht hatte, wachte Ritchie nachts stöhnend auf und tastete nach Karin, oder sie schüttelte ihn aus dem Schlaf. Sein eigenes Stöhnen zu hören, halb wirklich, halb geträumt, fand er schlimmer als die Geißel, die es verursachte. Karin wollte wissen, was er geträumt hatte.

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