Liebe und andere Schmerzen
und sexuell entspannter als die, die ich früher hatte. Aber keine ist wie Julie.
Auf meinem Nachhauseweg denke ich an die Schönheit, die ich eben sah. Was für ein Körper, welch kühle Distanziertheit. Ich hätte sie gerne berührt, ihre Konturen mit dem Finger verfolgt, sie von Kopf bis Fuß gestreichelt. Ich würde ihr alles geben. Ich würde mit ihr in die schneebedeckten Berge fahren und die von glitzerndem Weiß umgrenzten Serpentinen entlangjagen, oder ans Meer, allein mit ihr und dem leeren Strand den Sonnenuntergang betrachten und mich dabei an sie lehnen. Diese Wünsche kenne ich nicht, diese Romantik, die sich in meine Gedanken nistet. So war es nicht mal mit Julie.
Ich mache die ganze Nacht kein Auge zu. Sie will mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Ich tigere durch meine Wohnung, greife nach dem Ordner mit den Bankpapieren. Am folgenden Morgen um neun bin ich der erste Kunde, der die Filiale betritt.
»Das ist Ihr komplettes Erspartes, Herr D.«
Ich nicke.
»Ich würde Ihnen davon abraten, die Papiere zu verkaufen. Die Kurse stehen nicht gut und Sie machen eine Menge Verlust.«
»Das macht nichts«, sage ich. »Es geht um die Liebe. Die Liebe meines Lebens.«
»Haben Sie sich das gut überlegt?«
»Ich habe die ganze Nacht nichts anderes getan. Es ist nur Geld. Was ist schon Geld gegen das wahre Glück?«
Er zieht die Augenbrauen ein Stück nach oben, zuckt die Schultern und sagt: »Es ist Ihr Geld. Ich kann Sie nicht daran hindern.«
Zwei Tage später hebe ich 15.000 Euro von meinem Konto ab. Den Morgen habe ich damit verbracht, alles schön für sie herzurichten. Ich habe ihr Zimmer aufgeräumt – ich nenne es Zimmer, es ist albern, ich weiß, aber ich empfinde es nun einmal so – sauber ausgewischt und die Fenster geputzt. Ich habe sogar die Wände frisch gestrichen. Der ganzen Trödel, der bis dahin dort herumlag, befindet sich nun auf dem Anhänger eines Freundes und wird von dem in diesen Minuten in die Müllverbrennung gekarrt.
Ich habe weiße Vorhänge aufgehängt und heute früh im Baumarkt einen Radiator gekauft. Ich drehe ihn auf vier, damit es kuschlig ist, wenn sie kommt. Ich habe überlegt, ob ich Bilder an die Wände hängen soll, es aber dann gelassen. Sie werden kommen, sicher. Es werden Bilder von uns beiden sein, in den Bergen, am Strand … Es wird wundervoll werden.
Ich rolle den roten Linoleumteppich für sie aus, den ich ebenfalls heute Morgen im Baumarkt gekauft habe. Dann mache ich mich auf den Weg. Ich nehme den Bus und steige dort aus, wo ich ihr vor drei Tagen zum ersten Mal begegnet bin.
Sie ist da! Ich gehe zu ihr, streichle sie und schließe die Augen dabei. Die Kühle ihres fantastischen Körpers erfüllt mich mit einem Schauer purer Erregung. Ich flüstere: »Danke, dass du auf mich gewartet hast.«
Ich zittere, als ich auf die Funkfernbedienung drücke. Mit einem harmonischen Klacken öffnet sich die Zentralverriegelung. Ich ziehe am Griff der Fahrertür, sie schwingt mir entgegen. Der Duft frisch gepflegten Leders steigt mir in die Nase.
»Eine gute Wahl, Herr D.«, sagt der Verkäufer. »Der Wagen ist zwar zwölf Jahre alt, aber er ist top in Schuss. Sie werden es nicht bereuen – und wenn was ist, Sie wissen ja, sechs Monate Händlergarantie.«
Ich sehe den Mann strafend an. Wie kann er so lieblos von einem »Wagen« sprechen und von »Garantie«? Sieht er denn nicht, was für ein wundervolles Geschöpf das ist? Das ist kein Wagen – das ist ein Wesen, eine beauté céleste, beaucoup plus belle que Julie.
Wieder streichle ich sie, lasse meine Hände genussvoll über sie gleiten, reiße mich zusammen, um sie nicht vor lauter Begehren an Ort und Stelle zu küssen. Ich lasse mich in den tief liegenden Sitz sinken und schmiege meine Hände um das lederbezogene Lenkrad. Ein Druck auf einen Knopf der Funkfernbedienung, der Schlüssel klappt aus, ich führe ihn ins Zündschloss ein. Was für ein irres Gefühl. Ich würde ihn am liebsten wieder rausziehen und erneut hineinschieben, wieder und wieder und wieder … das muss warten. Bis wir alleine sind.
Der Verkäufer wünscht mir Alles Gute, dann schließt er die Tür für mich. Ich strecke die Arme durch und fühle den sportlichen Sitz meinen Rücken liebkosen. »Lotte«, hauche ich leise. »Meine geliebte Lotte.« Ich weiß einfach, dass sie so heißt. Sie kann keinen anderen Namen haben.
Lotte ist die pure Kraft. Ein kleiner Tipp aufs Gaspedal und die Beschleunigung drückt mich in den Sitz. Ich
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