Liebe und Gymnastik - Roman
treiben.»
«Das wird er getan haben, um sie sich gewogen zu machen», antwortete der Ingenieur.
Die Maestra schwieg einen Augenblick. Dann sagte sie lebhaft: «Zum Glück denken nicht alle so wie Sie. Sie kennen unsere Welt nicht. Die Idee bricht sich überall Bahn, auch in Italien. Wissen Sie, dass wir Hunderte Turnerbünde haben? Dass es begeisterte Förderer gibt, die ihr Vermögen stiften, um Turnsäle zu eröffnen, dass es eine große Zahl junger Ärzte gibt, die sich ganz der Erforschung der Gymnastik widmen, und dass Hunderte Lehrer eigens Fremdsprachen lernen, um die internationale gymnastische Literatur studieren zu können, die Hunderte Bände umfasst, geschrieben von hervorragenden Wissenschaftlern?»
Der Ingenieur machte eine unbestimmte Handbewegung, ohne etwas zu antworten, weil er seit einigen Augenblicken damit beschäftigt war, seinem älteren Sohn mit dem Kopf Zeichen zu geben, der der Maestra so nahe rückte und sie mit so glühenden Augen ansah, dass es regelrecht ungehörig war.
«Nieder mit Baumann!», sagte er schließlich, um nur irgendetwas zu sagen.
Doch wenn man ihren Baumann angriff, ließ die Pedani keinen Spott gelten. Sie sprang auf. Baumann habe sich um das Land verdient gemacht, er sei Begründer einer neuen Gymnastik, die enorme Früchte tragen werde, ein großer Geist, ein großer Gelehrter, ein Bildner von Persönlichkeiten. Sie hatte ihn auf dem Kongress kennengelernt: Dieser Mann war zu Großem berufen; an die sechzig, wirkte er wie ein Jüngling; er hatte eine großartige Stirn, blitzartige Bewegungen, sprach Worte wie in Stein gemeißelt, besaß die Sprachgewalt des Soldaten und Apostels. Wenn man Baumann die Mittel dazu gab, würde er eine Nation neu erschaffen. Schon allein wegen der Reform der weiblichen Gymnastik, die er plante, müssten die Frauen Italiens ihm ein Denkmal errichten.
Der Ingenieur führte eine Pirouette aus und wedelte mit der Hand. Da ergriff Frau Ginoni mit ihrer schleppenden Stimme das Wort: «Und doch, liebe Maestra, hat die Gymnastik für Mädchen auch Nachteile. Die Tanzlehrer haben beobachtet, dass sie die Anmut mindert und an unkoordinierte Bewegungen gewöhnt. Und die Klavierlehrer sagen, wenn die Signorine aus dem Turnsaal kommen, können sie nicht mehr spielen. Auch die Zeichenlehrer klagen.»
«Das ist doch bloß Berufsneid», entgegnete die Maestra, «glauben Sie mir, Signora. Unmöglich schaden gymnastische Übungen dem Tanz oder irgendeiner Kunst, da eben aufgrund dieser Übungen die Gelenkschmiere reichlicher in die beweglichen Glieder des Knochengerüsts fließt und alle Bewegungen leichter und freier macht … Sehen Sie? Auch Ihr Sohn gibt mir recht. Apropos», setzte sie an den Studenten gewandt hinzu, «ich habe Ihnen noch für Ihr schönes Geschenk zu danken.»
Der junge Mann zuckte zusammen, errötete aber nicht: Da hätte anderes passieren müssen. Allerdings hätte er Stillschweigen vorgezogen. Mit der größten Unbefangenheit verriet er seiner Mutter, dass er der Maestra, in der Annahme, sie fände Gefallen daran, den Grundriss eines griechischen Gymnasiums geschickt habe, den er in der Bibliothek kopiert hatte. Die Signora deutete ein Lächeln an. Und sagte zur Pedani: «Letzten Sonntag hat Alfredo beim Radrennen einen Wimpel gewonnen.»
Die Pedani ließ sich die Sache erzählen: Sie verfolgte diese Rennen mit großer Neugier, sie kannte die Namen der üblichen Sieger, ging manchmal an die Piste, und obwohl sie noch nie ein Fahrrad bestiegen hatte, sprach sie über Zwei- und Dreiräder und über Fahrräder mit vollendeter Sachkenntnis. Doch während der junge Mann ihr die Ereignisse bei seinem Rennen schilderte, als er ritterlich gewartet hatte, bis sein Konkurrent nach einem Sturz wieder aufgestanden war, drängte er sich so dicht an sie heran und wurde mit Kopfnicken und Blicken so zudringlich, dass der Vater nicht anders konnte, als ihn mit einer Geste aufs strengste zu ermahnen, was er aber nicht bemerkte.
«Sie sehen also», sagte die Maestra zum Ingenieur, wobei sie mit dem Stuhl etwas nach hinten rückte, «auch Ihr Herr Student ist auf unserer Seite. In diesem Haus ist die Mehrheit also für die Gymnastik. Fassi, meine Freundin, Signor Padalocchi, der Lungengymnastik betreibt, Ihr Sohn, der Commendatore Celzani …»
Als er den Namen Celzani hörte, lachte der Ingenieur auf. «Ach, was den Commendatore Celzani angeht», sagte er, «lassen Sie den aus dem Spiel.»
«Wieso denn?», fragte die Pedani. «Geht er
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