Liebe und Gymnastik - Roman
einer Woche eröffnet worden: Für den nächsten Tag war die Debatte über die Frage der Gymnastik anberaumt, zu der die Pedani ihre Rede halten sollte. Sie war aufgeregt, sprang in einem fort aus dem Bett, kehrte dorthin zurück, stand wieder auf und lief durchs Zimmer. Er hörte ihre nackten Füße. Das war für seine Sinne eine überaus grausame Marter, aufgewogen aber von einem Gefühl großer Zärtlichkeit und dem tiefen Bedauern, dieses Zimmer für immer verlassen zu müssen, sie nie wieder hören zu können, diese Geräusche, die seinem Ohr vertraut und ihm lieb geworden waren, weil sie ihn an so viele schlaflose Nächte erinnerten, an so viele Wünsche, so viel Traurigkeit, und die er nie wieder vergessen würde, da war er sich sicher. In Gedanken ließ er die Vergangenheit noch einmal Revue passieren, er setzte sich im Bett auf, um ihre Schritte und Seufzer besser zu hören, er rief sie an, sprach zu ihr, weinte, biss sich in die Fäuste, verbrachte eine Nacht wie ein zum Tode Verurteilter. Im Morgengrauen stand er müde und zerschlagen auf: Die Wunde am Kopf tat ihm weh. Den ganzen Vormittag konnte er sich nicht entscheiden, ob er sich mit einem Brief oder persönlich von ihr verabschieden sollte. Er beschloss, sie persönlich aufzusuchen. Und um halb zwei stieg er die Treppe hinauf.
Die Maestra war allein zu Hause und etwas traurig. Nach der Szene, die die Zibelli ihr wegen des Studenten gemacht hatte, vergällte sie ihr das Leben nun mit einer neuen Marotte. Es sah so aus, als wolle sie ihre Leidenschaft bei Tisch austoben. Sie gab jede Menge Geld aus für Leckereien und trieb die Ausgaben für die Küche derart in die Höhe, dass es so nicht weitergehen konnte; und obwohl sie gierig wie ein Vielfraß alles in sich hineinschlang, mäkelte sie an allem herum und brach wütende Streitereien vom Zaun: Die Sauce war missglückt, das Brot zu dunkel gebacken, das Fleisch zu hart, der Essig fad. Die Pedani konnte wirklich nicht mehr. Selbst diesen Vormittag hatte ihr diese Viper noch verdorben, an dem sie geistige Ausgeglichenheit so nötig gebraucht hätte, um sich auf ihre Rede vorzubereiten. Von Eifersucht nicht nur auf die Freundin, sondern auch auf deren bevorstehenden Erfolg geplagt, hatte die Zibelli der Versuchung nicht widerstehen können, sie bis zum letzten Augenblick zu drangsalieren, und war nach einer der üblichen Szenen, worin sie ihren Ehrgeiz geißelte und ihr ein Fiasko voraussagte, ohne Mittagessen aus dem Haus gegangen. Die Pedani, schon angekleidet für den Kongress, der um halb drei begann, stand im Wohnzimmer und ging ihr Manuskript noch einmal durch. Sie trug ein schwarzes Kleid ohne jede Verzierung, das sie wie ein feiner Kettenpanzer umschloss, sie größer erscheinen und ihren Teint heller wirken ließ; die seelische Erregung verlieh ihrem Gesicht einen Ausdruck von Sinnlichkeit, den es noch nie gezeigt hatte. Sie war allein, und obwohl die ersehnte Stunde näher rückte und die Sonne den Raum golden durchflutete, war sie melancholisch. Einige Freundinnen, die hätten kommen sollen, um sie abzuholen und ihr Mut zu machen, waren nicht erschienen. Diese Einsamkeit bedrückte sie: Noch nie hatte sie sich so sehr nach Gesellschaft gesehnt. Sie zeigte sich also fast erfreut, als man ihr den Sekretär ankündigte.
Dieser trat ein, den Hut in der Hand, bemerkte das schwarze Kleid und stieß einen Seufzer aus. Mit dem Verband um den Kopf, blass, niedergeschlagen, trist wie ein Sargnagel, konnte er einem wirklich leidtun.
Er wollte sich nicht setzen.
Die Maestra fragte ihn sofort, was er am Kopf habe.
«Im Turnsaal hingefallen», antwortete er. Und fügte hinzu, er komme, um sich endgültig von ihr zu verabschieden.
Die Pedani glaubte, er würde wie jedes Jahr aufs Land fahren, und fragte ihn: «Kommen Sie dann auch nicht zum Kongress?»
Der Sekretär hatte die Einladung bei seinem Onkel liegen sehen, hatte das aber vergessen. Nun ja, zuerst würde er auf den Kongress gehen, er würde sie noch einmal erblicken, im vollen Licht ihrer Schönheit und ihres Triumphs, und dann würde er fortgehen, mit diesem letzten Bild vor Augen. Aber das sagte er nicht. Er dankte ihr nur für die Einladung, die sie ihm reichte.
«Ich gehe fort …», erwiderte er mit bewegter Stimme. «Ich bin gekommen, um mich von Ihnen zu verabschieden … für immer.»
Die Maestra sah ihn an und begriff alles. Aber sie fand ihm gegenüber nicht die richtigen Worte. Und in der Tat, was sollte sie schon sagen? Sie
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