Liebe und Marillenknödel
mein Vater.
» Sie müssen mich zu meinem Wagen bringen. Jetzt gleich.«
» Zu deinem Wagen?«, fragt meine Mutter.
» Nick ist mit dem Panda weg, der Fiesta steht unten auf dem Parkplatz.«
Ich springe auf und laufe ins Haus, um meine Handtasche und den Autoschlüssel zu holen.
» Ja, aber wo willst du denn hin?«, ruft mir meine Mutter hinterher.
» Nick Bescheid sagen! Und dann nach Hamburg!«
Zum ersten Mal, seit ich vor gut sechs Wochen nach Alrein gekommen bin, sitze ich wieder am Steuer meines alten, treuen Fiestas. Ganz kurz hatte ich schon befürchtet, er spränge nicht mehr an, aber auf den Kleinen war Verlass, wie immer. Fast ein bisschen schade, dass ich den Wagen hier oben so gar nicht mehr gebrauchen kann. Ich mag es sehr, mein kleines Auto.
Ich kurve die Straße hinab nach Sankt Damian und weiter über die Dörfer in Richtung Brixen. Dass ich Nick auch einfach auf dem Handy hätte anrufen können, ist mir dann natürlich auch eingefallen, aber da war ich schon unterwegs. Und ehrlich gesagt: Die Unterlagen, die auf meinem Beifahrersitz liegen, sind so ungeheuerlich und aufregend, dass ich sie ihm persönlich zeigen will.
Außerdem vermisse ich ihn ein bisschen. Ja, schon jetzt, nach zwei Stunden.
Ich durchquere die Stadt und fahre weiter in Richtung Großmarkt. Bei dem großen Schild, auf dem Mercato Generale steht, biege ich auf den Parkplatz.
Ich fahre die erste Reihe ab und blicke mich suchend um. Komisch, dass ich den Panda gar nicht sehe.
Ich fahre die nächste Reihe entlang, aber da ist auch kein pinkfarbenes Auto. Es steht überhaupt kein Panda da. Ich fahre bis in den hintersten Winkel des Parkplatzes. Kein Nick. Ich fahre zurück in Richtung Ausfahrt und bleibe am Rand stehen.
Was tun? Warten, ob er nicht doch noch auftaucht?
Blödsinn. Wahrscheinlich ist er mit seinen Einkäufen längst fertig. Ich meine, wie lange kann Parmesan kaufen schon dauern?
Aber wäre er mir dann nicht entgegengekommen?
Ja, das wäre er.
Ich lasse meinen Blick über den Parkplatz schweifen und überlege, wo Nick wohl abgeblieben sein kann. Er wäre an mir vorbeigekommen, ganz sicher, es sei denn … er ist noch einen Kaffee trinken gegangen.
Na klar, das ist es!
Ich biege zurück auf die Straße und steuere den kleinen Wagen in Richtung Stadt. Es macht mich fast ein bisschen fröhlich, dass ich ihn gleich überraschen kann – er wird erstaunt sein, wie gut ich ihn schon kenne. Ich biege ab zum Bahnhof, und tatsächlich, da steht der Panda auf dem Parkplatz. Ach, mein Herz jubiliert! Ich lasse meinen Wagen in zweiter Reihe stehen, so wie er heute Morgen, als er mir die Mutter von Frau Jirgl gezeigt hat.
Ich klemme mir die Unterlagen unter den Arm, steige aus und marschiere schnurstracks auf die Bar zu.
Das Café ist so gut besucht wie immer. Die Espressomaschine keift, Gläser klirren, Gäste palavern … aber: kein Nick. Wo ist er? Auf dem Klo? Kann nicht sein, denn dort kommt gerade ein alter Mann mit Schnauzbart heraus, und es gibt bloß diese einzige Toilette.
Habe ich ihn übersehen? Ich blicke mich noch einmal um, aber da sind nur alte Herren, die Rotwein trinken, und zwei Teenie-Mädchen vor großen Kaffeetassen.
Irgendetwas stimmt hier nicht.
Da winkt Joseph mir zu, er erkennt mich wohl wieder.
» Kann ich dir helfen?«, ruft er herüber.
Ich hebe den Arm und lächle, um ihm zu signalisieren, dass ich ihn verstanden habe. Dann schüttle ich den Kopf, lasse den Arm wieder sinken und drehe mich um.
Komisch ist das, denke ich, als ich die Bar verlasse. Wo er nur sein mag? Ich trete an die frische Luft und lasse meinen Blick über den Bahnhofsvorplatz schweifen. Fast will ich schon wieder in den Fiesta steigen, da entdecke ich ihn plötzlich.
Ich sehe ihn nur von hinten, aber er ist es, ganz unverkennbar. Die Jeans mit dem kleinen Hintern, die Schultern, die Strubbelfrisur.
Gleichzeitig würde ich mir wünschen, er wäre es nicht.
Nick hält eine brünette Frau im Arm, eine Frau, deren High Heels so hoch sind, dass sie darin fast genauso groß ist wie er. Sie ist unglaublich schlank, das sehe ich sogar von hier, sie verschwindet geradezu hinter seinem Körper. Die beiden schäkern miteinander, auf einmal lacht sie hell auf und wirft den Kopf zurück. Er drückt sie an sich, und ihr Gesicht wird plötzlich ernst. Sie strubbelt ihm durchs Haar, er gibt ihr einen Kuss auf die Stirn. Ein langer Blick, dann dreht sie sich um und verschwindet in Richtung Bahnhof. Und er, er bleibt stehen
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