Liebe und Marillenknödel
Hochsommer, da geht ja mitten in der Nacht die Sonne auf. Im ganzen Auto roch es nach kalten Pommes, ich hatte Nackenschmerzen und Kopfweh. Ich warf einen Blick in den Rückspiegel und musste feststellen: Ich sah nicht besser aus, als ich mich fühlte. Also ging ich aufs Klo der Raststätte, um mich wenigstens ein bisschen zu säubern, dann holte ich mir einen Kaffee und dazu ein Sandwich-Dreieck aus dem Kühlregal. Dabei fiel mein Blick auf das Zeitschriftenregal, und tatsächlich, da stand sie, zwischen Wohnmagazinen und Kochzeitschriften – die neue Ausgabe von AD . Ich kaufte das Heft, klemmte es mir unter den Arm und ging zurück zum Parkplatz.
Im Auto blätterte ich die Seite mit den Reisetipps auf. Ja, da war ich, grazil an der Wäscheleine. Und da war Frau Jirgl, mit Tablett und Spitzenhäubchen. Und da oben auf dem Hang war Alrein, erhaben wie ein Adler kurz vor dem Absprung. Doch ich betrachtete die schönen Bilder wie Urlaubsfotos von irgendeinem Fremden, der mich nicht im Geringsten interessiert.
Ich warf die Zeitschrift auf die Rückbank und grub meine Zähne in das Sandwich. Es war widerlich, es war herrlich, und dann fiel mir auf, wieso es so herrlich war. Nick konnte mich mal mit seinem Feinkost-Fraß. Käseknödel-Soufflée – ich meine, sorry? Das bin doch gar nicht ich! Ich – ich bin Gouda und Formfleischvorderschinken und Fertigremoulade. Wenn überhaupt. Soll er mit seinem Gourmetgehabe doch seiner Tussi imponieren.
Ich stieg ins Auto, tankte den Wagen noch einmal auf, dann fuhr ich weiter, ohne weitere Pause.
Ich fuhr und fuhr, und je länger ich fuhr, umso mehr wuchs meine Entschlossenheit. Und meine Kraft. Ich hatte die ganze Zeit von Veränderung geredet. Nun würde es eine geben.
Jetzt ist es kurz vor elf, und ich stehe vor der Tür einer Kanzlei in Hamburg-Rotherbaum.
Ich drücke auf den Messingknopf, es gongt dezent, dann ertönt summend der elektrische Türöffner. Ich trete ein, laufe auf den Mahagonitresen und die Empfangsdame dahinter zu – und direkt an ihr vorbei.
Mir wird niemand mehr auf der Nase herumtanzen. Die Jirgls nicht, Nick nicht, Jan nicht und erst recht nicht Lydia und Helena.
» Hey, halt, Sie da!«
» Ist schon in Ordnung!«, rufe ich ihr über die Schulter zu. » Familienangelegenheit!«
Komischerweise bringt sie diese Nichtaussage zum Schweigen. Dabei könnte ich sonst wer sein. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern, sie gesehen zu haben, als ich hier vor zwei Jahren einmal Helenas Wohnungsschlüssel abgeholt habe. Meine Cousine hatte mich dazu abkommandiert, ihre Blumen zu gießen, während sie auf der Queen Mary 2 nach New York schipperte – zusammen mit Thomas, ihrem Mann, und zwei Dutzend anderer Immobilieninvestoren.
Ich marschiere durch, bis ich vor einer Tür stehe, auf deren Schild Helena von Hardenberg steht. Ich zupfe mir eine Locke aus dem Gesicht und versuche, meinem Klopfen einen coolen Unterton zu verleihen. Natürlich wäre es noch cooler gewesen, überhaupt nicht zu klopfen, aber was soll man machen – gegen seine Kinderstube kommt man einfach nicht an.
Ich warte ihr gekünsteltes » Ja, bitte?« ab und trete ein.
Helenas Büro ist noch größer, als ich es in Erinnerung hatte – und noch luxuriöser. Der Boden ist mit dunklem Teppich ausgelegt, die hohen Decken sind mit vergoldetem Stuck verziert, hinter ihrem Mahagonischreibtisch geht ein riesiges Fenster ins Grüne.
» Sophie!«
Hinter dem Schreibtisch sitzt Helena – und auf einem der beiden Besucherstühle davor Lydia, die sich erstaunt zu mir umdreht.
Ha! Überraschung gelungen. Und es sind sogar beide da.
» Wir … wir sprachen gerade von dir«, sagt Helena verwirrt.
» Ja!« Lydia wirkt nervös. » Gerade eben!«
» So ein Zufall«, sage ich trocken.
» Nicht wahr? Wir haben gerade diese Geschichte gehört, von diesem schrecklichen Hausmeister, der versucht hat, Alrein anzuzünden«, sagt Helena.
» Furchtbar! So schrecklich!«, sagt Lydia.
» Von wem habt ihr das gehört?«
» Was?«
Hihi. Das fängt ja besser an, als ich dachte. Ich habe meinen Eltern nämlich bei Todesstrafe verboten, den Cousinen meinen Besuch anzukündigen, geschweige denn ihnen von den Unterlagen zu erzählen, die ich in meiner Handtasche habe. Ich bin mir ganz, ganz sicher, dass sie sich daran gehalten haben. Das kann nur eines bedeuten: Die Zwillinge haben die Geschichte von jemand anderem gehört – und sich prompt verplappert!
» Wer euch von dem schrecklichen Hausmeister
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