Liebe und Marillenknödel
dürfen, oder? Wenn sich das Leben so dramatisch ändert, ist es doch ganz normal, wenn einem ein wenig bang wird!
Ich will gerade wieder zurück in mein Zimmer gehen, da bleibt mein Blick an einem Lichtkegel hängen, der sich mit der Langsamkeit eines Glühwürmchens durchs Tal bewegt. Fasziniert halte ich inne und beobachte, wie er mal von der Dunkelheit verschluckt wird und an anderer Stelle wieder auftaucht. Was mag das sein? Langsam, ganz, ganz langsam, kommt er immer näher. Nach einiger Zeit wird das Geräusch eines Motors hörbar.
Das muss der Taxi-Messner sein! Ist das eventuell schon unser morgiger Gast? Ich laufe zum Schrank und schlüpfe in mein Kittelkleidchen und trete mit klopfendem Herzen noch einmal auf den Balkon. Der Wagen kommt immer näher und schiebt sich schließlich die letzten Meter zur Einfahrt herauf.
Oh. Wie sonderbar. Das Auto, das jetzt neben dem Carport und Johannas Fiat parkt, ist zwar ein Jeep – jedoch nicht der Jeep vom Taxi-Messner.
Es ist ein knallroter Supersize- SUV mit Chromfelgen und einem Kühlergrill, der im sanften Mondlicht blitzt wie eine Reihe gefletschter Zähne. Die Fahrertür öffnet sich und ein Bein schiebt sich tastend heraus. Es ist ein sehr dünnes Bein, das vor dem Auto-Monstrum fast knochig wirkt. Es steckt in einem Paar spitzer Pumps und Leggings mit Leoparden-Print.
Ich werde Zeugin eines B-Movies, das im echten Leben nie und nimmer produziert worden wäre.
» Frrriiieeetz!«
Die Stimme der Fahrerin gellt durch die Stille. Prompt erscheint Herr Jirgl im Schein der Außenlaterne. Fast muss ich lachen. Das ist also Jirgls Frau? Diese Tiger-Lilly? Tante Johanna hatte echt Humor, das muss man ihr lassen.
» Pscht!«, macht Jirgl und zeigt nach oben in meine Richtung, wohl ohne zu ahnen, dass ich auf dem Balkon stehe und die Szene beobachte. Rasch trete ich einen Schritt in den Schatten zurück. Leider kann ich so aber auch nicht sehen, wie die Tiger-Lilly obenrum aussieht. Im Gesicht, meine ich.
» Gah, hülf ma mol!«, sagt Frau Jirgl mit weinerlicher Stimme.
Meine Güte, es gibt Leute, die werden, wenn sie versuchen leiser zu reden, erst so richtig laut.
Ich höre, wie sich die Kofferraumklappe öffnet, dann werden irgendwelche Tüten und Kisten vom Wagen ins Haus getragen. Schritte knirschen im Kies, es wird geflüstert. So leise wie möglich schleiche ich zurück in mein Zimmer. Offensichtlich hat Tiger-Lilly Besorgungen gemacht. Wahrscheinlich im Großmarkt, in Brixen.
Und trotzdem … ist das nicht sonderbar? Warum fährt die Frau so einen Riesenschlitten? Ich frage mich das nicht nur, weil bei SUV -Fahrern zu vermuten ist, dass die psychosoziale Entwicklung in der phallischen Phase dramatisch gestört wurde, sondern vor allem auch, weil die Frau Zimmermädchen ist. Früher sind die Angestellten mit dem Zug angereist und wurden von Tante Johanna abgeholt. Ich fürchte, ich muss mir morgen früh gleich mal die Gehaltsliste ansehen.
Ich gehe zurück in mein Zimmer, falte mein Kittelkleidchen wieder zusammen und lege es auf dem alten Küchenstuhl ab, der seit ich denken kann neben dem Schrank steht. Frau Jirgl kann ich auch morgen noch begrüßen. Ich schlüpfe in das Spitzennachthemd, das ich mir extra für Alrein besorgt habe, schüttle so, wie Tante Johanna es immer getan hat, die dicke Daunendecke auf und schlüpfe darunter. Ich bleibe liegen, ohne mich zu rühren, und lausche in die Nacht. Eine Holzdiele knackst, einmal höre ich Schritte, ansonsten ist es ganz still. Bestimmt denken die Jirgls, dass ich längst in friedlichem Schlummer liege, und geben sich Mühe, mich nicht zu stören. Was – das muss man ihnen lassen – am Ende dieses Tages doch eigentlich ganz nett ist, oder?
8
Als ich aufwache, kitzelt mich die Sonne im Gesicht. Ich drehe mich auf den Bauch und spüre, wie mir das warme Licht auf den Nacken fällt – herrlich! Wer braucht da noch Küsse! Ein paar Minuten döse ich so vor mich hin – es fühlt sich fast an, als würde ich im Licht schweben. Wie es wohl wäre, nie wieder aufzustehen?
Doch dann glaube ich, frischen Kaffee zu riechen, und wage einen Blick auf den alten Reisewecker, der neben mir auf dem Nachtkästchen aus Kiefernholz steht. Er zeigt vier Uhr.
Ich schließe die Augen und gucke noch einmal.
Kann nicht sein. Immer noch vier.
Er tickt auch nicht. Nicht einmal, als ich ihn ans Ohr presse. Ich untersuche ihn genauer und entdecke auf seiner Rückseite Knöpfe. Knöpfe zum Drehen. Ein Wecker zum Aufziehen
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