Liebe und Marillenknödel
Frau Jirgl sein!«
» Guten Morgen, angenehm«, sagt Frau Jirgl mit einer Freundlichkeit, die, ich kann mir nicht helfen, irgendwie unecht wirkt.
Herr Jirgl sagt nichts, sondern nimmt einen Schluck aus seinem Becher.
Also, ich finde, die beiden könnten mir ruhig eine Tasse anbieten, zumal der Kaffee ganz schön lecker duftet. Aber sie nehmen kaum Notiz von ihrer neuen Chefin.
» Tja«, plappere ich einfach weiter und setze mich zu ihnen an den Tisch. » Jetzt ist leider erst mal Schluss mit der schönen Ruhe. Unser Gast rückt an!« Meine Stimme schlägt ein bisschen zu weit nach oben aus, was ich versuche, durch ein besonders zuversichtliches Lächeln zu kompensieren.
» Wirklich«, sagt Frau Jirgl mit der gleichen falschen Freundlichkeit wie vorher und füllt eine Reihe in ihrem Kreuzworträtsel aus. Herr Jirgl blättert eine Seite weiter, völlig ungerührt.
Langsam werde ich wütend.
» Und die Musik … ich fürchte, die müssen wir ausmachen.«
» Warum?«, fragt Herr Jirgl und hebt den Kopf.
» Weil das in Alrein schon immer so war?«, schlage ich vor.
» Und bloß weil es immer so war, muss es auch immer so bleiben, oder wie?« Herr Jirgl stiert mich an wie eine nervige Wespe, die er jetzt schon zum x-ten Mal von seiner Cola wegwedeln muss.
» Äh …«
Ich hätte natürlich mit fester Stimme » genau« antworten müssen, aber dieser Blick hat mich irgendwie verunsichert.
Zufrieden blättert Herr Jirgl eine Seite weiter.
Dieser Mistkerl.
» Also«, sage ich, mich noch einmal zusammenreißend. » Wir müssen uns ohnehin bald mal zusammensetzen, da werden wir solche Fragen diskutieren. Jetzt muss ich aber erst mal unseren Gast empfangen.«
In Gedanken haue ich mit der Faust auf den Tisch. Das Wohl der Gäste geht nämlich vor. War schon immer so und wird immer so bleiben. Jawohl!
Jetzt fällt mir auch ein, wie man eine Pension führt. Mit Prinzipien!
» Und, Frau Jirgl, wären Sie wohl so freundlich, gleich noch einmal in den ersten Stock zu gehen und in den Bädern etwas nachzuwischen? Ich habe vorhin zufällig bemerkt, dass die noch nicht so richtig sauber sind.«
Unglaublich, aber es funktioniert. Frau Jirgl rutscht auf ihrem Stuhl nach vorne und will aufstehen, um sich … tata: zu bewegen!
Ach, nein, doch nicht: Ihr Mann packt sie am Handgelenk und bedeutet ihr mit einem Kopfnicken, sich schön brav wieder hinzusetzen.
Und Frau Jirgl?
Setzt sich wieder hin.
Na spitze.
Momente wie dieser hier gehören zu den seltenen im Leben, in denen ich gern einen Tick mehr so wäre wie meine Cousinen. Helena und Lydia würden den beiden jetzt wahrscheinlich einen Zettel voller Paragrafen in die Hand drücken und mit einer Gehaltskürzung drohen, oder gleich mit Rausschmiss. Was hingegen sage ich, dämlich lächelnd?
» Na, hat ja auch noch ein bisschen Zeit!«
Und, als keine Reaktion kommt: » Wissen Sie zufällig, wie der Gast heißt, der jetzt kommt? War der schon öfter hier?«
» Reservierungsbuch ist im Büro«, brummt Jirgl, ohne aufzublicken.
So ein hilfsbereiter Mensch, wirklich.
Deutlich weniger schwungvoll, als ich die Treppe hinabgehüpft bin, stapfe ich sie jetzt wieder hinauf. Im Reservierungsbuch schlage ich das heutige Datum auf – ja, da ist ein Eintrag. Ein Doppelzimmer, gebucht als Einzelzimmer, für drei Tage, Halbpension, auf Herrn Heinrich Philippi, wohnhaft in 39040 Castelrotto/Kastelruth. Heinrich Philippi. Ich sage mir den Namen dreimal auf, dann eile ich in die Küche.
» Gianni? Gianni!«
Da kommt der Koch aus der Speisekammer geschlichen. Er sieht noch magerer aus als gestern, und irgendwie … traurig.
» Si, Signora?«
Er hat den Blick gesenkt und sieht mir nicht in die Augen.
» Gianni«, sage ich, und als er nicht aufblickt: » Gianni, warum schaust du mich denn nicht an, wenn ich mit dir rede?«
Sein Blick hebt sich für einen kurzen Moment und senkt sich sogleich wieder.
» Gianni, hör zu, ich brauche den Schnaps. Wir bekommen einen Gast!«
Er nickt und bringt mir ein Tablett, ein Glas und eine schlanke, hohe Flasche Marillenbrand. Dabei guckt er drein wie Bambi bei Dauerregen.
» Vielen Dank!«, strahle ich ihn aufmunternd an, doch das nutzt nichts.
» Niente«, sagt er zu einem Fleck am Fußboden und schleicht wieder davon.
Keine Ahnung, was mit ihm los ist. Bei meinem letzten Besuch wirkte er viel fröhlicher, und Tante Johanna war sich sicher, er sei langsam über das Drama in Palermo hinweggekommen. Hm. Aber vielleicht ist es ja auch genau
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