Liebe und Marillenknödel
weit.
Oha.
» Pardon, da …«
Ich bringe den Satz nicht zu Ende. Mein Blick streift durch den Raum, der offensichtlich seit dem letzten Herbst nicht mehr betreten wurde: Die Betten sind nicht bezogen, die beiden Bauernstühle mit den Herzchen in der Lehne stehen verkehrt herum auf dem Tisch, auf den staubigen Holzdielen liegen welke Blätter und die Tür zum Balkon versperrt eine riesige Spinnenwebe.
Ich möchte schreien, und ich weiß auch, was.
Jirgeline, du faules Miststück, ich reiß dir jeden deiner Air-Brush-Fingernägel einzeln aus!!!
Stattdessen sondere ich ein komisches Geräusch ab. Es klingt ungefähr so wie ein verreckender Kühlschrank.
» Aber das ist doch kein Problem«, sagt Herr Philippi freundlich. » Ich bin ohnehin furchtbar hungrig. Ich gehe einfach runter in die Gaststube und esse dort etwas, bis das Zimmer fertig ist. Sie sagen mir dann Bescheid, ja?«
Ich nicke stumm. Er platziert seinen Rucksack sorgfältig auf dem Stuhl neben der Waschkommode und verlässt das Zimmer.
Ich bin ja so froh, dass unser erster Gast nicht meine Mutter ist. Die wäre nämlich nicht runtergegangen, um etwas zu essen, sondern schnurstracks wieder abgereist.
» Frau Jirgl?«
Liebenswürdig wie ein kleines Weihnachtsglöcklein schallt meine Stimme durchs Treppenhaus. Ich höre mich an wie eine Metzgereifachverkäuferin, die sich erkundigt, ob es sonst noch was sein darf. Aber wenn die wenigen Gäste, die sich noch zu uns verirren, mitkriegen, was hier los ist, kommen auch die nicht mehr, und dann kann ich dichtmachen.
Eine gute Frage, wenn man es bedenkt: Was ist hier eigentlich los?
Ich gehe zum Fenster, öffne es und rufe über den Hof: » Frau Jiiirrgl?«
Keine Reaktion. Ich laufe hinunter in die Küche.
Aber da ist nur Gianni, der mit einem Büchsenöffner hantiert.
» Gianni, hast du Frau Jirgl gesehen?«
Er dreht sich zu mir um, schüttelt den Kopf und weist über seine Schulter in Richtung Parkplatz. Durchs Fenster kann ich erkennen, dass der ferrarirote SUV nicht mehr neben Johannas Panda steht.
» Non ci sono«, sagt er. » Sinte weg.«
Er sieht mich an, als würde er gleich zu weinen anfangen. Und ehrlich gesagt, im Augenblick fühle ich mich genauso. Meine Mitarbeiter verweigern entweder die Arbeit oder sie sind suizidgefährdet. So kann man ein Einwohnermeldeamt führen, aber keine Pension. Was für eine Gurkentruppe!
Genervt stapfe ich zurück in Herrn Philippis Zimmer und bete, dass Gianni ihm in der Zwischenzeit wenigstens etwas kocht, das ihn milde stimmt.
Und mir später auch, denn ich muss ebenfalls milde gestimmt werden. Außerdem habe ich tierischen Hunger.
Ich hole frisches Bettzeug aus der Wäschekammer. Der Gedanke ans Essen gibt mir neue Kraft. Ich erinnere mich noch lebhaft an Giannis wunderbare selbst gemachte Nudeltaschen, an seine Marillenknödel – und diese Suppen! Er und Tante Johanna hatten herrliche, alte Rezepte gesammelt, und die Küche der beiden war in der ganzen Region bekannt – sogar im Slow-Food-Restaurantführer war sie einmal erwähnt worden!
Ich nehme Decken und Kissen vom Bett und lege sie zur Seite. Dann breite ich ein Bettlaken auf der Matratze aus. Natürlich hätte Tante Johanna nie im Leben so etwas Neumodisches wie Spannbettlaken angeschafft, deshalb ist es ein ganz schönes Gefummel, bis ich es endlich glattgestrichen habe.
Oder zumindest halbwegs glatt. Aber schließlich liegt ja die Decke drüber, oder? Eben.
Als Nächstes beziehe ich die Kissen, schüttle sie auf und drapiere sie am Kopfende des Bettes. ’Ne Nixigkeit, wie wir Hamburger sagen. So, jetzt die Decken. Ächz. Diese Daunendecken sind so groß und schwer – das ist ja, als würde man mit einem ausgewachsenen Mann ringen! Es dauert ein bisschen, aber dann sind auch sie bezogen. Ich falte sie einmal zusammen, werfe sie aufs Bett und versuche, einen halbwegs symmetrischen Gesamteindruck hinzukriegen.
Ich streiche die Falten glatt, was mir nur mit mäßigem Erfolg gelingt.
Dann lege ich die Decken noch einmal andersherum.
Schließlich lege ich sie quer übers Bett, übereinander.
Meine Güte, es kann doch nicht so schwer sein, ein Bett zu machen!
Ich bringe die Decken wieder in die Ausgangsposition, streiche sie hektisch glatt und sehe, wie ein Schweißtropfen von meiner Stirn direkt auf dem Kopfkissen landet und dort einen hübschen Fleck macht.
Hoffentlich trocknet der, bevor Herr Philippi sein Zimmer bezieht. Aber ich kann ja nicht auch noch einen Fön holen.
Ich sehe
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