Liebe und Marillenknödel
einem Blick, als müsse ich das schon selber wissen – als habe schließlich ich Schuld, nicht sie. Dann wendet sie sich wieder ihrem Kreuzworträtsel zu. Diese blöde Ziege!
Ich stapfe in die Küche, um zu sehen, was es zu frühstücken gibt. Gianni ist nicht da, aus dem Kaffee wird wohl nichts.
Ich schneide mir gerne ein bisschen Obst zum Frühstück, aber alles, was ich finde, sind drei schimmlige Zitronen im Kühlschrank. Also schenke ich mir bloß ein Glas Apfelsaft ein und setze mich raus auf die Bank neben der Eingangstür.
Doch auch die frische Luft löst den Knoten in meinem Magen nicht auf. Was wohl mit Herrn Philippi geschehen ist? Wenn etwas mit seinen Kindern oder Enkeln passiert wäre – wie hätte er dann hier oben davon erfahren? Hätte ich das Telefon nicht gehört? Es gibt hier doch kein Mobilfunknetz, und selbst wenn – der Alte hatte doch sicher kein Handy! Ich kann mir nicht helfen, irgendwie habe ich ein ganz schlechtes Gefühl.
Ich blicke über das Tal. Es ist ganz still. Na gut, es gibt jede Menge Insektenvieh, das summt und brummt und flattert, aber abgesehen davon ist es absolut ruhig und friedlich.
Das ist ein unglaubliches Gefühl hier oben: Du kannst die ganze Welt überblicken, aber sie gibt keinen Mucks von sich. Keine Motorengeräusche, kein Handygeplapper, nicht einmal » Anton aus Tirol«. Jirgl muss ins Tal gefahren sein, sein SUV steht zumindest nicht vor der Tür. Ich frage mich wirklich, was die beiden da unten die ganze Zeit machen. Besorgungen sind es offensichtlich nicht. Der Bestand im Kühlschrank wird nämlich nicht größer, sondern nur älter.
Um ehrlich zu sein, ist es für meinen Geschmack fast ein bisschen zu still. Früher war die Terrasse immer voller Gäste, die ausgiebig pausierten, ehe sie sich weiter auf den Weg zu ihren Wanderzielen machten. Und immer wieder gab es welche, denen es hier so gut gefiel, dass sie kurzerhand über Nacht blieben oder sogar gleich ein paar Tage.
Heute allerdings …
Hin und wieder gehe ich hinter zur Terrasse, um zu sehen, ob vielleicht unbemerkt jemand gekommen ist und nur zu schüchtern war, auf sich aufmerksam zu machen. Aber die Terrasse ist ganz leer, bis auf ein paar Wespen, die ziellos über den leeren Tischen schwirren, auf der Suche nach einer Portion Apfelstrudel.
Wie deprimierend.
Ehrlich gesagt, ich komme mir vor wie mit vierzehn, als ich, wenn mich länger als zwei Tage niemand mehr angerufen hat, manchmal extra zur Telefonzelle gegangen bin, um auszuprobieren, ob unser Telefon funktioniert. Ich musste dazu bis zur übernächsten Bushaltestelle laufen. Das Telefon ging natürlich immer. Meine Mutter nahm ab, und ich legte auf.
Nach einer Weile fühlt sich der Knoten in meinem Bauch wie Hunger an. Kein Wunder, gestern und vorgestern waren wirklich ein bisschen mager. Brot, Brot und immer trockener werdendes Brot. So langsam wird es Zeit für eine ordentliche Mahlzeit.
Ich gehe ins Haus, hole eine Speisekarte und lese: Südtiroler Speckbrettl. Brettljause. Schmalztegl mit Gurke.
Gerichte, die mit Brot gegessen werden – die wohl eher nicht.
Gadertaler Gulaschsuppe. Bohnensuppe mit Speck. Italienischer Brotsalat. Bauerngröstl. Bandnudeln mit Ragout vom Milchkalb. Hausgemachte Ofenschlutzer. Spinatknödel mit Butter und Parmesan. Speckknödel mit Butter und Parmesan. Kaspressknödel mit Butter und Parmesan.
Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Knödel! Butter! Ich springe weiter zu dem Abschnitt mit den Desserts. Kaiserschmarrn. Apfelstrudel. Versoffene Jungfern.
Und: Von Juni bis August – Johannas Marillenknödel!
Leider ist es erst Mai, verdammt. Aber gut, ich sollte ja ohnehin mal Giannis Gulaschsuppe probieren.
Jetzt muss ich nur noch Gianni dazu bringen, mir eine Schüssel zu kochen, statt sein Herz ewig in Trauer zu marinieren. Ich werde mich mit einer großen Portion davon auf die Terrasse setzen und hoffen, dass der Duft ein paar Gäste anlockt.
Auf dem Weg in die Küche habe ich eine Idee. Ich strecke die Arme nach vorne aus, lasse die Hände schlaff hängen, rolle die Augen nach oben, bis man nur noch das Weiße sieht und sage, als ich in der Türe stehe, mit supermonotoner Zombiestimme: » Sophie muss Fleisch essen.«
Wie schrieb Hannes van Aalen in Aus Mäusen Elefanten machen – Team-Empowerment und Potential-Development heute zum Thema Mitarbeitermotivation? » Bringen Sie Ihre Leute öfter mal zum Lachen.«
Gianni lacht aber nicht. Er dreht sich zu mir um und schaut mich
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