Liebe und Marillenknödel
heimelig, aber jetzt präsentieren sie sich staubig und schmutzig und unaufgeräumt. Hier liegen noch gebrauchte Handtücher auf den Waschkommoden, dort sind die baumwollenen Bettvorleger achtlos in eine Ecke geworfen. Die Fenster sind fast alle blind, und in manchen Zimmern sind sogar die Stühle umgeschmissen.
Wow, da wartet eine Menge Arbeit – allerdings auf Frau Jirgl, nicht auf mich. Mir reicht es nämlich fürs Erste.
Ich reibe mir den Nacken, der von der Putzerei ganz schön wehtut und lege den Generalschlüssel zurück in die Schreibtischschublade. Draußen ist es fast unbemerkt dunkel geworden. Herrn Philippi habe ich am Abend noch mit einem Glas Rotwein auf der Terrasse gesehen, inzwischen scheint er im Bett zu sein. Auch von den Jirgls und Gianni ist nichts zu hören. Ich gehe leise die Treppe hinab und bemerke, dass die Lampe im Flur immer noch nicht funktioniert, deshalb taste ich mich weiter vor bis zur Küche und mache dort das Licht an. Im Vorratsraum finde ich neue Glühbirnen und wechsle mithilfe einer kleinen Klappleiter die alten aus. Alle drei sind durchgebrannt, aber ich bin viel zu groggy, um mich darüber zu ärgern. Ich bin ja schon froh, dass ich noch die Arme heben kann.
Erschöpft schneide ich mir noch zwei Scheiben Brot und ein paar Scheiben von dem Schinken ab, der eigentlich fürs Frühstücksbuffet bestimmt ist. Das Brot ist bereits ein bisschen hart, trotzdem bemerke ich schon beim Kauen, wie ich vom Essen noch mehr Hunger kriege. Mist, eigentlich hatte ich ja Herrn Philippi versprochen, das Gulasch zu probieren. Aber jetzt scheint nichts mehr davon übrig zu sein, also schneide ich mir eine weitere Scheibe Brot ab und belege sie mit etwas Bergkäse aus dem Kühlschrank.
Als ich fertig bin, überrollt mich die Müdigkeit wie eine Lawine. Ich torkle direkt ins Bett, ohne Händewaschen, ohne Zähneputzen, ohne Creme-Orgie. Komisch, denke ich, als ich unter der dicken Decke liege. Normalerweise schmecken Sachen spätnachts aus dem Kühlschrank eigentlich noch mal so gut, aber diesmal habe ich einen komisch künstlichen Geschmack im Mund. Muss an den Putzmitteldämpfen liegen. Aus der Ferne höre ich ein Auto, Sekunden später Schritte. Aber da sinke ich schon in ohnmächtigen Schlaf.
Als mir beim Aufwachen erneut die Sonne ins Gesicht scheint, werte ich das gar nicht erst als ein gutes Zeichen. Wütend sehe ich mich nach meinem Handy um, aber dann fällt mein Blick auf den alten Wecker auf dem Nachttisch. Er zeigt vier Uhr. Und: Er tickt schon wieder nicht. Hätte ich den gestern Abend etwa schon wieder aufziehen müssen? Und da schimpfe noch einmal einer auf die Akkuleistung seines iPhones.
Nach Blitzdusche im sauberen Badezimmer schlüpfe ich in mein Pünktchenkleid. Unten treffe ich auf Frau Jirgl, heute mal in lilafarbenen Leggins mit Tigerprint. Sie sitzt schon wieder an einem Kreuzworträtsel. Ich hoffe nur, dass es nicht immer noch das von gestern ist.
» Guten Morgen«, sage ich freundlich. Ich habe beschlossen, Frau Jirgl nicht auf ihr Verschwinden gestern anzusprechen. Ich will sehen, ob sie den Anstand hat, selbst etwas dazu zu sagen.
Doch sie nickt nur, um mir zu signalisieren, dass sie meine guten Wünsche empfangen hat. Grrr.
» Hat Herr Philippi schon gefrühstückt?«, frage ich.
Hoffentlich sagt sie Nein. Dann kann ich sie nämlich losschicken, ihm einen Kaffee zu machen – und mir gleich einen mit. Die Espressomaschine in der Küche ist einer dieser riesigen Gastro-Apparate mit tausend Knöpfen und Displays und Rohren und Reglern. Ich habe es noch nicht übers Herz gebracht, Gianni aus dem Sumpf seiner Lethargie zu ziehen und mir von ihm zeigen zu lassen, wie man diese Teufelsapparatur dazu bringt, Cappuccino zu machen. Und die Jirgls mag ich nicht bitten.
Das Einzige, was ich von ihnen will: dass sie sich endlich in Wirtsleute verwandeln.
» Herr Philippi ist abgereist«, sagt Frau Jirgl wieder mit dieser komisch freundlichen Stimme, ohne den Kugelschreiber aus der Hand zu legen.
» Wie bitte? Aber er hat doch für drei Nächte gebucht!«
Herr Philippi war so nett, und wir haben uns so gut verstanden, und er war doch schon als kleiner Bub hier!
» Er hat die drei Nächte a bezahlt, Geld is oben in der Kasse. Aber er hat ned bleiben können«, sagt sie, als sei es das Normalste der Welt, dass Pensionsgäste übereilt ihre Zelte abbrechen. In mir krampft sich alles zusammen.
» Aber warum?«
Frau Jirgl zieht die Schultern hoch und versieht mich mit
Weitere Kostenlose Bücher