Liebe und Marillenknödel
Ich kann Joseph erkennen, der gerade am Milchschäumer hantiert, und die alten Männer, die vor ihm am Tresen sitzen, dort, wo heute Morgen noch Handwerker bei ihren Espressi saßen. Sie sind bereits beim Rotwein und scheinen mit großen Gesten über irgendetwas zu diskutieren. Zwischen ihnen sitzt eine ältere Dame. Na ja, Dame. Sie trägt pinkfarbenen Lippenstift, wahnsinnig viel Schmuck und fetischmäßige Schnürstiefel bis zum Knie. Ihre Haare sind rot gefärbt, aber man kann deutlich den grauen Ansatz sehen. Ansonsten sieht sie sehr fidel aus, wie sie da an ihrem Likörglas nippt.
» Ja«, sage ich, » die sehe ich.«
» Gut«, sagt Nick. » Das ist die Mutter von Frau Jirgl.«
Es ist, als würde ich ohnmächtig werden, nur, dass ich dabei nicht umkippe. Mir wird schwarz vor Augen, obwohl ich alles sehe. Ich drehe mich zu Nick um. Er macht ein Gesicht, das so grimmig ist, dass sogar mir der Ernst der Lage bewusst wird.
Ohne ein Wort zu sagen, stürze ich auf das blinkende Auto zu, öffne die Beifahrertür und werfe mich in den Sitz. Ich schnalle mich an und starre reglos geradeaus. Nick nimmt auf dem Fahrersitz Platz und sieht mich an.
» Aber warum?«, frage ich, ohne mich ihm zuzuwenden.
» Wenn ich das wüsste«, sagt Nick und startet den Motor. » So ein Mistkerl! Dass er erst einen Koch mit einem völlig idiotischen Sparplan quasi dazu zwingt, schlechte Arbeit zu leisten, das ist mal das eine. Genau diesen Koch dann einfach zum Bahnhof zu bringen und ihm zu erzählen, du seiest so unzufrieden mit seiner Arbeit, dass er deswegen gefeuert wurde, das ist das andere. Aber dass er dir irgendwelche Tränenmärchen über seine ach so kranke Schwiegermutter erzählt, das ist doch echt der megakrasse Riesen-Ober-Hammer.«
Nick hat recht. Es ist der megakrasse Riesen-Ober-Hammer.
» Aber warum? Warum macht er das? Ich meine, die Story mit der Mutter ist klar, die hat er mir ja just in dem Augenblick aufgetischt, als ich ihm mit Kündigung gedroht habe. Das Komische ist nur, dass er sich danach viel mehr Mühe gegeben hat, darum hab ich nicht daran gezweifelt, dass ihm sein Job wichtig ist.«
» Wozu aber irgendwie die Sache mit diesem Gianni nicht passt. Ohne Koch hättet ihr pleitegehen können, und damit wäre er seinen Job ebenfalls los gewesen.«
» Ich verstehe es nicht«, sage ich und schüttle den Kopf. » Ich verstehe es einfach nicht.«
Nick zischt irgendetwas durch die Schneidezähne und betätigt den Schalthebel so hart, dass ich kurz fürchte, er würde ihn abbrechen. Ich glaube, er ist richtig, richtig wütend. Und ich bin es auch. Ich bin sogar so wütend, dass ich bloß noch vor mich hinstarren kann und nicht mehr weiterrede.
Nach einer Weile hört Nick auf zu schimpfen und sieht geradeaus aus dem Fenster, wie ich. Gemeinsam sammeln wir unsere Kräfte für das Riesendonnerwetter, das Jirgl gleich blüht.
Der Weg wird noch einmal steiler. Gleich sind wir da. Die Anspannung steigt mit jeder Sekunde. Nick hat sich aufgerichtet und sitzt hinter dem Steuer wie ein fieser Cop aus einer amerikanischen Actionserie.
Wir biegen um die letzte Kurve …
» So eine Scheiße!«
Nick haut mit der Faust aufs Lenkrad, zum Glück trifft er dabei die Hupe nicht.
» Oh no«, sage ich, als ich es selber sehe. Der Parkplatz vor dem Haus ist leer. Jirgls Jeep fehlt.
» Scheiße«, sage ich.
Und da kommt uns auch schon Frau Jirgl entgegen.
» Gut, dass Sie endlich da sind«, sagt sie, als wir aussteigen, mit gehetzter Stimme und aufgerissenen Augen. » Die Mittagsgäste werden langsam sauer. Ich hatt’ schon Angst, dass ich sie wegschicken müsst!«
Nick versieht sie mit einem verächtlichen Blick.
» Wo ist Ihr Mann?«, fragt er, und sein Gesicht gleicht einer gezückten Pistole.
Hinter mir räuspert sich jemand.
» Was? … Also, was … ich weiß nicht«, antwortet sie erschrocken. » Was ist denn?«
Es räuspert schon wieder. Genervt dreht Nick sich um. Dann verändert sich sein Gesichtsausdruck, und er sagt:
» Oh, Verzeihung. Grüß Gott, Herr …«
27
» Jetzt warte doch, Papa. Beruhige dich erst mal.«
Mein Vater versucht, tief durchzuatmen.
» So, schon besser. Also, jetzt noch einmal. Was ist mit Jirgl?«
» Er ist unten. Im Alpine Relax.«
Ich werfe Nick einen Blick zu, doch der sieht auch nicht so aus, als könne er sich einen Reim darauf machen.
» Und du bist dir sicher, dass es Fritz Jirgl ist? Nicht jemand anderes?«
Mein Vater nickt. » Der Typ, der uns gestern hier oben
Weitere Kostenlose Bücher