Liebe und Vergeltung
senkte die Lider, setzte sich hoch und begann, mit langsam kreisenden Bewegungen Mikahls Schulter zu streicheln. Etwas von ihm abrückend, drückte sie ihn sanft auf das Lager und erschrak. Erst jetzt wurde ihr klar, was sie vorhin nur flüchtig vermutet hatte. Erschüttert beugte sie sich über ihn und flüsterte: „Um Himmels willen, was hat man dir angetan?“ „Ich war Sklave“, antwortete er ruhig.
Sara schluckte und starrte auf die Narben, die seinen Rücken überzogen. Manche waren glatt und kaum noch zu erkennen, andere kurz, gezackt und schlecht verheilt. Sara ahnte, daß die Mikahl widerfahrenen Grausamkeiten für ihn gewiß so traumatisch waren wie für sie selbst der Reitunfall und seine Folgen. „Bist du ... hat man dich ausgepeitscht?“ fragte sie beklommen.
„Ja.“
„Auf so furchtbare Weise?“
„Ja. Zur Strafe, weil ich mich widersetzt habe.“
Ihr wurden die Augen feucht. Ihr blutete das Herz, als sie daran dachte, wie sehr er gelitten haben mußte. Wie wenig wußte sie doch von Mikahl, von den Gefahren, die er durchgestanden hatte, den Erniedrigungen, denen er ausgesetzt gewesen war! Impulsiv neigte sie sich vor und drückte einen zarten Kuß auf seinen geschundenen Rücken.
„Eine Zeitlang mag jemand Macht über dich gehabt haben“, sagte sie mitleidig und strich ihm behutsam über die Narben. „Doch ich bin sicher, nur über deinen Körper, nicht über deinen Geist. Im Denken wirst du immer ein freier Mann sein.“ Er atmete tief und schwer durch, drehte sich langsam um und zog Sara schweigend an sich.
Sie schlang die Arme um ihn, innerlich zutiefst erschüttert und doch glücklich, daß sie ihn mit ihrer Zuneigung trösten, den Schmerz seiner Seele mit ihrer Liebe lindern konnte. Sein Kuß war weich und gefühlvoll, empfindsam und zart, und sie spürte, daß er in ihren Armen Erlösung und Frieden suchte.
Aus dem Schlaf der Erschöpfung erwachend, merkte Mikahl, daß er Sara mit einem Arm umfangen hielt und sein Kopf auf ihrer Brust ruhte. Sie schlief, nach der neuerlichen, von un-bändigem Verlangen erfüllten Vereinigung entkräftet, und Mikahl wagte nicht, sich zu regen.
Die Frage ging ihm durch den Sinn, was plötzlich aus seinem Leben geworden war. Er hatte Sara begehrt, sie verführt und dann aus einem gewissen Pflichtgefühl geheiratet. Über die Konsequenzen dieser Entscheidung nachzudenken, war ihm nicht in den Sinn gekommen. Es war für ihn selbstverständlich gewesen, daß die Ehe nichts anderes wäre als die kurzen, stürmischen und unkomplizierten Affären, die ihn mit willigen, erfahrenen und diskreten orientalischen Frauen verbunden hatten.
Nun jedoch stellte er zu seiner Verwunderung fest, daß er sich im Zusammensein mit Sara veränderte. Als er abends erkannt hatte, daß sie seelisch noch unter den Folgen des Reitunfalles litt, war es für ihn etwas ganz Natürliches gewesen, sie zu trösten. Erst jetzt fiel ihm auf, wie sehr er aus dem Wunsch, sie innerlich zu stärken, in der Wachsamkeit nachgelassen hatte, nichts von sich preiszugeben. Er hätte darauf achten müssen, die Gibbeh nicht abzuschütteln, damit Sara die Narben nicht sah, die ihn ständig an die Vergangenheit und erlittene Demütigungen erinnerten.
Doch es war unvermeidlich gewesen, daß sie die Relikte seiner frühen Jahre entdecken mußte. Um so unverständlicher war es ihm, daß dieser Umstand ihn verunsicherte. Vor allem war ihm nicht erklärlich, weshalb er Sara dann in der Nacht ein zweites Mal und mit solcher verzehrenden Begierde besessen hatte.
Vielleicht lag es daran, daß ihre Zärtlichkeit, ihr einfühlsames Verstehen, Regungen seines Wesens freigelegt hatten, die er längst verschüttet wähnte. Der Junge, der einst so grausam mißhandelt worden war, hatte sich nach Zuneigung, nach Herzlichkeit und Güte gesehnt, ohne sie je zu empfangen. Mit den Jahren hatte er sich verhärtet, in sich selbst zurückgezogen und niemandem Einblick in sein Herz gewährt.
Erst die ihm von Sara entgegengebrachte innige Herzenswärme und ihr Feingefühl hatten die Mauer durchbrochen, mit der er sich und seine Sehnsüchte zu schützen trachtete. Wahrscheinlich hatte er deshalb, weil Sara in sein Innerstes geblickt hatte, so heftig, mit solch maßloser Leidenschaft reagiert. Eigentlich war es nicht richtig gewesen, sie auf diese schonungslose, fast brutale Weise zu besitzen, doch er fand, er müßte sich keine Vorwürfe machen. Sie hatte sich ihm nicht minder heißblütig hingegeben und war dabei
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