Liebe und Vergeltung
dem Kontinent, wo Sie ihr zartes, zerbrechliches Töchterchen niemals finden!“
„Sie perverser, abstoßender Kerl!“ Nur mit größter Anstrengung gelang es Charles, dem Widersacher nicht ins Gesicht zu schlagen. „Sie sind durch und durch verkommen!“
„Ich bin nur ein getreuer Schüler meines Lehrmeisters“, entgegnete Mikahl und gab den Arm des Baronets frei. „Ist es abgemacht, daß meine Gattin und Ihre Tochter unbehelligt bleiben?“
„Einverstanden, doch nur in diesem Punkt“, willigte Charles widerstrebend ein und strich den Ärmel des Frackjacketts glatt. „Aber Sie werden es bereuen, Sie gemeiner Verbrecher, daß Sie mich in Bedrängnis gebracht haben. Mir sind Sie nicht gewachsen!“
„Im Gegenteil, ich bin Ihnen überlegen“, widersprach Mikahl trocken. „Sie wissen doch, wer Wind sät, wird Sturm ernten!“
22. KAPITEL
Sara hatte sich bereits gefragt, wo Mikahl so lange blieb, als sie ihn unversehens auf sich zukommen sah. Seine Augen glänzten, und seine Miene drückte tiefe Zufriedenheit aus. Er küßte der Dowager Duchess of Windermere, mit der Sara sich unterhalten hatte, galant die Hand, wechselte einige höfliche Worte mit ihr und raunte Sara dann zu: „Komm! Ich habe einen Platz zum Tanzen gefunden, wo es nicht so beengt ist wie hier.“
Sara schmunzelte, entschuldigte sich bei der Großtante und schlenderte an der Seite des Gatten durch den Ballsall. „Hast du einen Balkon entdeckt, wo ich dir eine weitere Unterrichtsstunde im Gebrauch des Fächers erteilen kann?“ fragte sie schelmisch.
„Nein, etwas viel Besseres.“
Verwundert schaute sie Mikahl an. Ein seltsamer Ton hatte in seiner Stimme mitgeschwungen, und ihr kam der Verdacht, er könnte ein Glas zuviel getrunken haben. Er wirkte fröhlich, machte indes nicht den Eindruck, beschwipst zu sein.
Er führte sie aus dem Saal in das Vestibül, durchquerte es und öffnete die Tür eines auf der rechten Seite des Korridors gelegenen Vorzimmers, dessen Wände mit grüner Seide bespannt waren. Das Licht war gedämpft und überzog die Konsoltische unter den Spiegeln und die wenigen Sitzgelegenheiten mit weichem rötlichgelbem Schimmer.
„Eigentlich ist es etwas unschicklich, sich so von der Gesellschaft zu entfernen“, murmelte Sara und schaute sich zweifelnd in dem leeren Vorzimmer um.
„Das mag sein“, räumte Mikahl ein, während er die Tür zumachte und den im Schloß steckenden Schlüssel herum-drehte. „Hier sind wir jedoch ungestört“, fügte er hinzu und wandte sich um. „Wir hören die Musik und können ungehindert tanzen. Gibst du mir die Ehre, Sara?“
„Mit Vergnügen“, antwortete sie heiter. „Aber comme il faut ist es wirklich nicht.“
„Was? Mit meiner Gemahlin zu tanzen?“ Amüsiert hob Mikahl eine Braue. Sara den Arm um die Taille legend, zog er sie nah zu sich heran und wirbelte sie zu den Klängen des Walzers über das Parkett.
„Nein“, sagte sie und schüttelte leicht den Kopf. „Ich meinte natürlich, sich davonzustehlen, in diesem Raum einzuschließen und dann auch noch so eng zu tanzen. Vergiß nicht, du hast mich auf Armeslänge zu halten!“
„Und ich dachte, ich hätte endlich gelernt, was Engländer unter Etikette verstehen!“ erwiderte Mikahl auflachend und schmiegte Sara an die Brust. „Ihr seid doch ein sehr befremdliches Völkchen!“
„Wir legen eben großen Wert auf den schönen Schein“, stellte Sara lächelnd fest. „Du wirst es nicht glauben, doch vor etwa zwei oder drei Jahren hat Lady Gough einen Ratgeber zu guten Manieren veröffentlicht, in dem sie schrieb, der Schicklichkeit halber wäre es notwendig, Bücher männlicher und weiblicher Autoren in getrennten Kabinettschränken unterzubringen.“
„Ach, das hast du soeben erfunden!“
„Nein, es ist die lautere Wahrheit“, widersprach Sara ernst. „Nur wenn eine Schriftstellerin zufällig mit einem anderen berühmten Dichter verheiratet war, durften ihre Werke auf derselben Ablage stehen.“
„Ich fürchte, euch Engländer werde ich nie begreifen“, sagte Mikahl und seufzte übertrieben. „Dabei hatte ich angenommen, durch die Vorstellung bei Hofe wäre ich ein respektabler Mann geworden.“
„Du wirst nie ein vollkommen anständiger Mann sein“, entgegnete Sara scherzend.
Mikahl lachte, hielt im Tanzen inne und gab ihr einen Kuß. Willig öffnete sie die Lippen und fand es wundervoll, als er sie zu streicheln begann. „Meine Gouvernante hatte recht, als sie mich vor dem Walzer
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